Beschreibung
Eine Insel, dreieinhalb Kilometer lang und anderthalb breit. Dort lebt Gilles, der frühere Freund Cocteaus, Übersetzer und Herr über 47 Katzen. Er soll Nabokovs Ada übersetzen, ein so schwieriges Unterfangen, daß er die Briefe des Verlegers aus Paris vorsichtshalber ungeöffnet läßt. Als die Situation nach Jahren unhaltbar wird, entschließen sich die Inselbewohner zu einem Akt unerwarteter Solidarität. Voll Witz und intelligenter Einfälle, für alle Inselurlauber und Literaturliebhaber.
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Eine blonde Frau (blond war in dieser Gegend entschieden die gottgewollte Haarfarbe der Ehefrauen wie der Kinder) näherte sich. Sie blieb auf einer von den letzten Wellen des sinkenden Meeres umspülten Landzunge aus hellem Sand stehen. Nichts unterschied sie von den anderen Fängerinnen von rosa Garnelen (Palaemon serratus). Doch nun ließ sie auf einmal ihr Netz fallen, entledigte sich mit einer abrupten Schulterbewegung ihres Korbs, löste ihr Kopftuch und die Bänder ihrer Espadrilles, knöpfte blitzschnell ihre alte rote Shetlandjacke auf. Sie trug zu große Khakishorts und obenrum die örtliche Uniform: das gestreifte Trikot. Sie blieb inmitten des gleißenden Weiß stehen, eine in dieser Welt der Nuancen, der Übergänge unpassende Farbe, und blickte starr geradeaus zum Horizont. Dann schloß sie die Augen.
Er, der Mann, trug das Werkzeug des Krustentierjägers, seine Brechstange, den langen schwarzen Haken, der am Ende aufgebogen war, um in einer schmalen Vertiefung den Einsiedlerkrebs zu verfolgen, die Wollkrabbe aufzuscheuchen oder das Seeohr abzulösen. Er hielt auch die Harke des Meeresgärtners in der Hand, diese Harke, die unter der Kiesoberfläche die Venusmuscheln mit ihrer Schale, runzelig wie die Haut uralter Chinesen, ans Licht bringt.
Er war fast schon an ihr vorbei. Plötzlich sprang er sie an. Er hatte seine Ausrüstung in der Hand behalten. Die Frau zerzauste ihm die Haare. Wortlos glitten sie auf die feuchte Landzunge.
Für einen solchen Kenner der Nächte in Buenos Aires, wie ich ihn beschrieben habe, war das Schauspiel der Verzückung des Körpers nichts Neues. Die tönende Begleitung hingegen brachte ihn aus der Fassung. Diese sich liebenden Leute sprachen miteinander. Sprachen mit lauter, fröhlicher Stimme, als rühre ihr Glück, mehr noch als von den Gesten, von den Worten her: "Oh, danke, daß ich dich so begehre." "Woher hast du diese Sanftheit?" "Ich habe so oft von deiner Haut geträumt." "Ich glaube, ich werde nie mehr Angst haben." "Du nimmst mich mit dir."
Alle Zeichen der sich vollziehenden körperlichen Liebe, denen er seit dem Beginn seines Aufenthalts so vergeblich nachgespürt hatte, stiegen nun wie eine berauschende Musik zu ihm, dem ausländischen Besucher, auf, ein Geschenk des genießerischen, Unzucht treibenden ewigen Frankreich, des Frankreich Rabelais&39; und Maupassants.
Er wechselte Kamera und Objektiv, schraubte ein 400-mm-Rohr auf seine Nikon Nr. 2, überließ seine nächsten Nachbarn ihren Abenteuern und schwenkte über das bretonische Reisfeld. Hier und da, bis zum Horizont, gaben sich Männer und Frauen auf dem Sand oder auf dem Seegras, am Rand der Wasserlachen oder an die Felsen gelehnt der Lust hin, während um sie herum eine Armee von Unerschütterlichen weiter fischte.
Und denken Sie ja nicht, all diese Paarungen seien ehebrecherisch gewesen, wie die zu seinen Füßen andauernde. Señor Fernandez erkannte in seinem Sucher ganz genau Paare, die er beim Verlassen der Bucht sich mit der Verbitterung und dem Groll hatte anmeckern sehen und hören, die unfehlbar die Dauer und Legitimität einer Beziehung angeben.
Arme Inselbewohner! Durch die in den überfüllten Häusern der Familien herrschende Raumnot zu Geheimnistuerei und Leisesein gezwungen, nutzten sie trunken die weiten, für ein paar Viertelstunden von der Ebbe (Koeffizient 115) freigelegten Flächen. Und die Voyeure auf dem Signalmast, dem in der Ferne kaum erkennbaren winzigen weißen Fleck, konnten mit ihren stärksten Ferngläsern noch so intensiv den Horizont absuchen: vergebliche Liebesmüh! Diese Rasereien würden außer Reichweite ihrer sorgenvollen, puritanischen Überwachung bleiben.
O schönes menschliches Fest unter dem spöttischen und vielleicht neidischen Tanz der Möwen!*
* Gestatten Sie dem Erzähler eine kurze biographische Angabe? An einem 22.März geboren, wurde er aller Wahrscheinlichkeit nach am 18.Juni des Vorjahres anläßlich eines solchen Niedrigwassers (Koeffizient 108) gezeugt.
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