Beschreibung
Unser Blick sieht und inszeniert eine Menschenähnlichkeit der Tiere, die unvollkommen bleibt und uns darin des Unterschieds zwischen Mensch und Tier versichert. De Waals anschauliches und anekdotisches Buch zeigt die fundamentale Bedeutung, die dieser Unterschied für unser Selbstverständnis hat. Gleichzeitig löst er ihn auf, denn auch Tiere besitzen die Fähigkeit, zu lernen und Gelerntes weiterzugeben. Wie "anders" können wir sein, wenn auch die Tiere ihre Kulturen entwickeln und verändern?
Autorenportrait
Frans de Waal, geboren 1948 in Den Bosch, Niederlande, lehrt Primatenverhalten u.a. an der Emory University in Atlanta und zählt aufgrund seiner Bücher zu den bekanntesten Primatologen der Welt. Bei Hanser erschien zuletzt: Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte (2008).
Leseprobe
Wenn uns die Geschichte etwas gelehrt hat, dann dies: Wir sollten uns davor hüten, vorschnell Unterschiede zu behaupten. Es ist noch gar nicht lange her, da hieß es, die "Wilden" seien unfähig, sich als Gesellschaften zu organisieren, und der Begriff der Gesellschaft könne nicht auf Menschen angewandt werden, deren Kennzeichen zügellose Promiskuität, Verbrechen und lächerlich einfache Sprachen seien. Inzwischen sehen wir natürlich, daß alle Menschen, auch solche in nicht schriftkundigen Gesellschaften, komplexe Wertesysteme und Moralgebote kennen und Sprachen sprechen, die in jeder Hinsicht so reich sind wie die Sprache, in der dieses Buch geschrieben ist. Es gibt eine Parallelgeschichte der falschen Vorstellungen über unsere Primatenverwandten, die in das westliche Denken als Verkörperungen des Teufels eintraten - auf die Erde gekommen, um die Krone der Schöpfung zu verspotten. Diese Tiere wurden immer wieder unterschätzt, und die falschen Vorstellungen, die man sich von ihnen gemacht hat, wurden nur widerstrebend und nach und nach aufgegeben. Wer darauf hinweist, daß manche ihrer Fähigkeiten denen des Menschen sehr nahekommen, muß sich auf wütende Reaktionen gefaßt machen. So wurden beispielsweise Behauptungen über die Sprachfähigkeiten der Menschenaffen als so bedrohlich empfunden, daß es 1980 auf einer internationalen Konferenz zu dem erfolglosen Versuch kam, alle Forschungen über das Sprachvermögen der Tiere zu verbieten, ähnlich wie bereits 1866 die Linguistische Gesellschaft von Paris die Erforschung der Ursprünge der Sprache verboten hatte.15 Ich behaupte nicht, daß Menschenaffen sprachfähig sind, aber aus solchen Zensurversuchen spricht deutlich die Unsicherheit darüber, ob der Mensch wirklich so einzigartig unter den Tieren ist. Es ist nicht überraschend, daß man sich Kulturen von Tieren zuerst im Osten vorstellte, wo die menschliche Selbstdefinition weder Freudsche Triebunterdrückung noch die Leugnung unserer Verbindung mit der Natur voraussetzt. Da sich der Kulturbegriff sehr weitgehend mit der Vorstellung verbindet, wir hätten uns von anderen Tieren entfernt, muß dieses Buch der Frage nachgehen, wie tierähnlich wir Menschen oder wie menschenähnlich Tiere sind. Es muß sich außerdem so klassischen Auseinandersetzungen zuwenden - die bis heute nichts von ihrer Relevanz verloren haben - wie der zwischen Behavioristen und Ethologen, die dem angeborenen bzw. dem erlernten Verhalten den Vorzug gaben. Immer wieder werde ich versuchen, bestehende Dualismen zu erschüttern, und mich um ein vollständigeres Bild bemühen. Spätestens hier ist nicht mehr zu übersehen, daß uns die Kontrolle über die Affenteegesellschaft entglitten ist. Statt uns nachzuahmen und die Teekanne auf unser ausdrückliches Geheiß umzustoßen, haben uns die Affen die Schau gestohlen; sie legen Gewohnheiten an den Tag, die sie von sich aus entwickelt haben, und zeigen Tricks, die sie nicht uns abgeschaut haben. Als Ergebnis halten sie uns einen völlig anderen Spiegel vor, in dem Affen nicht als Karikaturen des Menschen erscheinen, sondern als ernst zu nehmende Mitglieder unserer Großfamilie mit ihrer eigenen Begabung und Würde. Seit Carl von Linne uns 1758 mutig derselben Klasse wie die Affen zuordnete, ist die Botschaft zu uns durchgedrungen, daß wir nicht allein sind. Biologisch gesehen waren wir das nie. Die Zeit ist reif, um dasselbe auch in kultureller Hinsicht zu formulieren.
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