Beschreibung
Einer der größten Romane der Weltliteratur in der glänzenden Neuübersetzung von Elisabeth Edl. Es ist die Geschichte von Julien Sorel, dem Emporkömmling aus der Provinz, der nach Geld und Macht strebt und nach anfänglichem Erfolg den Untergang in einer von Geld und sozialer Hierarchie bestimmten Welt erleben muss. "Das beste Werk von Stendhal" (Johann Wolfgang von Goethe) ist mit einem überaus reichen Anhang nun neu zu entdecken.
Autorenportrait
Stendhal - eigentlich Marie-Henri Beyle - (1783-1842) gilt als einer der frühesten Vertreter des literarischen Realismus.
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DAS KRÄHEN DES HAHNS Amour en latin faict amor; Or donc provient d'amour la mort, Et, par avant, soulcy qui mord, Deuil, plours, pieges, forfaitz, remords. Blason d'Amour Wäre Julien nur halb so schlau gewesen, wie er grundlos meinte, dann hätte er sich am nächsten Tag zur Wirkung seines Ausflugs nach Verrières gratulieren können. Seine Abwesenheit hatte seine Ungeschicklichkeiten vergessen lassen. Auch an diesem Tag war er ziemlich mürrisch; gegen Abend kam ihm ein lachhafter Einfall, und er verriet ihn Madame de Rênal mit erstaunlicher Kühnheit. Kaum saßen sie im Garten, da näherte Julien, ohne die Dunkelheit abzuwarten, seinen Mund Madame de Rênals Ohr und sagte, auf die Gefahr hin, sie entsetzlich zu kompromittieren:»Madame, heute nacht um zwei komme ich in Ihr Zimmer, ich muß Ihnen etwas sagen.«Julien zitterte, seine Bitte könnte erfüllt werden; die Verführerrolle war ihm eine so schreckliche Last, daß er sich am liebsten für mehrere Tage in sein Zimmer zurückgezogen und die Damen nicht mehr gesehen hätte. Er begriff, daß er durch sein so klug geplantes Betragen von gestern all die guten Eindrücke des vorangegangenen Tages verdorben hatte, und er wußte nicht mehr aus noch ein. Madame de Rênal antwortete mit ehrlicher, kein bißchen übertriebener Entrüstung auf die unverschämte Ankündigung, die Julien ihr zu machen wagte. Er glaubte, aus der knappen Antwort Verachtung herauszuhören. Ganz gewiß war in dieser sehr leise gesprochenen Antwort der Ausdruck Pfui Teufel gefallen. Unter dem Vorwand, den Kindern etwas sagen zu müssen, ging Julien in deren Zimmer, und als er zurückkam, setzte er sich neben Madame Derville und weit weg von Madame de Rênal. Auf diese Weise raubte er sich jede Möglichkeit, ihre Hand zu ergreifen. Die Unterhaltung war ernst, und Julien schlug sich recht gut, bis auf ein paar Augenblicke, in denen alle schwiegen und Julien sich das Hirn zermarterte. Kann ich nicht irgendeine schöne List finden, sagte er sich, und Madame de Rênal zwingen, mir wieder diese eindeutigen Zeichen der Zuneigung zu geben wie vor drei Tagen, als ich glaubte, daß sie mir gehört! Der nahezu hoffnungslose Zustand, in den Julien seine Sache gebracht hatte, verstörte ihn zutiefst. Dennoch hätte ihm nichts größere Verlegenheit bereitet als der Erfolg. Als man um Mitternacht auseinanderging, überzeugte ihn sein Pessimismus, daß er Madame Dervilles Verachtung genoß und bei Madame de Rênal vermutlich in kaum höherer Gunst stand. In übelster Laune und zutiefst gedemütigt, fand Julien keinen Schlaf. Er war meilenweit von dem Gedanken entfernt, auf alle Finten und Pläne zu verzichten, mit Madame de Rênal in den Tag hineinzuleben und sich wie ein Kind mit dem Glück zu begnügen, das jeder Tag bringen würde. Er zerbrach sich den Kopf und ersann eine geschickte List nach der anderen, im nächsten Augenblick kamen sie ihm töricht vor; er war, mit einem Wort, sehr unglücklich, als die Schloßuhr zwei schlug. Dieses Geräusch schreckte ihn auf, wie das Krähen des Hahns Petrus aufgeschreckt hat. Jetzt sah er den schlimmsten Augenblick gekommen. Er hatte an sein unverschämtes Angebot nicht mehr gedacht, seit er es ausgesprochen hatte; es war so schlecht aufgenommen worden! Ich habe ihr gesagt, daß ich um zwei komme, sagte er sich und stand auf, ich bin vielleicht unerfahren und grob, wie es sich für einen Bauernsohn gehört, Madame Derville hat es mir oft genug zu verstehen gegeben, aber ich werde wenigstens nicht schwach sein. Julien durfte sich mit gutem Grund zu seinem Mut gratulieren, noch nie hatte er sich einen schlimmeren Zwang auferlegt. Als er seine Tür öffnete, zitterte er so sehr, daß die Knie ihm versagten, und er mußte sich an die Wand lehnen. Er trug keine Schuhe. Er schlich zu Monsieur de Rênals Tür und lauschte, er hörte ihn schnarchen. Er war verzweifelt. Es gab keinen Vorwand mehr, nicht zu ihr zu gehen. Großer Gott! Was sollte er dort tun? Er hatte keinen Plan, und selbst wenn er einen gehabt hätte, er war so durcheinan Leseprobe