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Tante Rosina und das verräterische Mieder

Roman

Erschienen am 25.12.2007
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783492049214
Sprache: Deutsch
Umfang: 380 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 21 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Es war der Morgen des 12. Februar. Die Luft war kalt, und das ganze Viertel roch appetitlich nach frisch gebackenem Brot. Es versprach ein schöner Tag zu werden, doch Mercede Vitali, Eignerin des gleichnamigen Wäschegeschäfts, haderte mit einem Gewissenskonflikt. Renata Meccia, die schöne Tochter des Bürgermeisters, hatte bereits in aller Frühe einen Einkauf getätigt, der das Schlimmste befürchten ließ. In ihrer Not beschloss Mercede, mit dem Priester zu reden. Das würde zumindest ihr Gewissen erleichtern. Dabei ahnte Mercede nicht einmal die wirkliche Tragweite der ganzen Geschichte. Denn hätte sie gewusst, welches Drama sie mit ihrem Bekenntnis auslöste, hätte sie - ganz gegen ihre Natur - lieber den Mund gehalten ...

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Autorenportrait

Andrea Vitali, in Bellano am Comer See geboren, sorgt dort heute als Hausarzt für das Wohlergehen seiner Mitmenschen. Ganz Italien liebt ihn hingegen für seine vergnüglichen Romane um die Eigenheiten seiner Mitmenschen und die norditalienische Lebensart. Seine Bücher brachten ihm bereits mehrere Literaturpreise sowie ausgezeichnete Plazierungen auf der Bestsellerliste ein. Nicht umsonst bezeichnete ihn der Corriere della Sera als 'einen der besten Erzähler Italiens'. Bei Piper erschien 2006 der Roman 'Als der Signorina Tecla Manzi das Herz Jesu abhanden kam'.

Leseprobe

Mercede Vitali, vom gleichnamigen Wäschegeschäft in der Via Balbiani 27 in Bellano, war bleich und klapperdürr. Unverheiratet. Jungfrau. Vegetarierin. Sie war vierzig Jahre alt. Seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr hatte sie keine einzige Morgenmesse verpasst. Sie betete, und danach verkaufte sie ihre Miederwaren. Das junge Mädchen wartete vor verschlossener Ladentür auf sie. Es war am Morgen des 12.Februar 1931. Es war noch nicht ganz hell, die Luft war kalt, und das ganze Viertel roch nach dem frischen Brot von Barberis Backstube. Die Vitali hatte die Gewohnheit, Selbstgespräche zu führen. Sie hielt kleine Reden, noch öfter erzählte sie Geschichten. Die Liste der Leute, die ihr Geld schuldeten, konnte sie herunterleiern wie einen Rosenkranz. Manchmal dachte sie sich Briefe an den Duce aus, die sie jedoch nie abschickte. An diesem Morgen allerdings hatte sie sich nichts zu erzählen. Schweigend hatte sie die Kirche verlassen, um zu ihrem Laden zu gehen, und als sie in die Gasse bog, in der er lag, sah sie im schwachen Morgenlicht verschwommen die Gestalt. Sie ging ein paar Schritte näher heran und erkannte das Mädchen. Es war Renata Meccia, die einzige Tochter des Bürgermeisters Agostino Meccia. Renata war vierundzwanzig und sehr temperamentvoll, wie ihr Großvater, der Cavaliere Renato. Was wollte sie bloß von ihr? »Guten Morgen, Mercede«, grüßte das Mädchen. »Guten Morgen.« Noch bevor die Vitali die Tür öffnen konnte, hatte ihr Renata Meccia gesagt, warum sie gekommen war. Nun verstand Mercede auch, warum sie eine so ungewöhnliche Zeit gewählt hatte. Das Mädchen bat sie ausdrücklich, ihre Besorgung gut einzupacken und mit niemandem darüber zu sprechen. Ein problematischer Fall. An diesem Tag verdiente die Vitali nur wenig. Am Abend lagen gerade ein paar Centesimi in der Kasse. Mercede zuckte angesichts dieses Elends nur mit den Schultern. Sie hatte das Problem vom Morgen noch nicht gelöst. Vielleicht konnte ihr der Priester einen Rat geben. Um sechs schloss sie den Laden. In der Gasse pfiff ein eisiger Wind. Die Luft trug Männerstimmen zu ihr herüber, die Osterien waren voll. Allein in der Via Manzoni gab es sieben. Die Frauen kamen aus der Abendmesse, zerstreuten sich und gingen nach Hause. Mercede schritt durch die plaudernde Menge. Eine von ihnen blieb stehen, als sie sie sah. »Ich wollte gerade zu Ihnen kommen«, sagte sie. »Ich brauche einen Meter Schrägband.« Mercede sah sie an. Einen Meter, dachte sie, na großartig. »Ich habe geschlossen«, antwortete sie. »Wieso denn so früh?« Der forschende Ton gefiel Mercedes nicht. »Bin ich Ihnen Rechenschaft schuldig?«, fragte sie. Die andere war sprachlos. Mercede ließ sie stehen und ging weiter. »Bin ich der Rechenschaft schuldig?«, murmelte sie und hatte endlich etwas, was sie sich erzählen konnte. Sie war keinem für das, was sie tat, Rechenschaft schuldig. Das musste man sich mal vorstellen! Und der da schon gar nicht. Einen Meter Schrägband! Wenn die sich mal nicht ruinierte! Wenn es nach der gegangen wäre, hätte sie zurückgehen und den Laden wieder öffnen sollen für Schrägband zu vier Centesimi… Sie landete direkt vor dem Bauch des Signor Prevosto, der gerade das Eingangsportal abgeschlossen hatte und nun aus einer Seitentür der Kirche trat. Der Priester hatte es eilig. Er sagte es auch gleich, denn er kannte die Vitali. Wenn sie einmal angefangen hatte, redete sie wie ein Wasserfall, sogar in der Beichte. Bei den ersten Worten der Frau: »Ich muss mit Ihnen sprechen«, wurde ihm klar, dass er sich nicht verständlich gemacht hatte. »Ich habe es eilig«, wiederholte er. »Aber es ist von allergrößter Wichtigkeit«, erklärte Mercede. »Und es kann nicht bis morgen früh warten?« »Ich möchte niemandem den Respekt verweigern…« »Was für einen Respekt denn?« »Respekt, den man der Autorität schuldet.« »Welcher Autorität?« »Dem Bürgermeister. Ist er eine Autorität, oder nicht?« Schweigen. Der Priester war ein guter Freund des Bürgermeisters. Er gehörte praktisch zur Familie und ging oft zum Abendessen dorthin. »Was hat der Bürgermeister damit zu tun?« »Ich bin ja gerade hier, um Ihnen das zu erklären«, antwortete Mercede. »Also, was gibt’s?«, fragte der Geistliche resigniert. Mercede sprach mit gesenktem Kopf. Vor ihr stand der füllige Priester und hörte zu, hocherhobenen Hauptes, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Zwei Schatten, fast so dunkel wie die Nacht, die nun hereingebrochen war.