Beschreibung
Die meisten Menschen möchten zu Hause sterben, im eigenen Bett. Nur Wenigen ist das möglich. Petra Anwar hat zahlreichen Patienten und ihren Familien dabei geholfen. Sie kennt die Nöte und Ängste der Versorgung außerhalb des Krankenhausbetriebs. Und doch ist diese gemeinsame Zeit für Sterbende und ihre Angehörigen besonders kostbar: für Maike, die trotz des riesigen Tumors in ihrem Bauch noch ein ganzes Jahr mit ihren heranwachsenden Töchtern gewinnt; für Herrn Helling, der im Rollstuhl ans Meer reist, um ein letztes Mal die Leuchttürme zu sehen; für Herrn Bozkurt, der in seine kleine Stadt in der Türkei zurückkehrt, weil eine Wohnung in der Fremde kein guter Ort zum Sterben ist. Petra Anwar ist da, damit ein Mensch geborgen und frei von Angst dort sterben kann, wo er gelebt hat. Zusammen mit John von Düffel erzählt sie zwölf wahre Geschichten vom Sterben zu Hause.
Autorenportrait
Petra Anwar, geboren 1965 in Borken/Westfalen, arbeitet als Palliativmedizinerin für die Organisation »Home Care« in Berlin. In dem Film »Halt auf freier Strecke« (ausgezeichnet in Cannes, Deutscher Filmpreis, Bayerischer Filmpreis) spielt sie sich selbst: eine Ärztin, die Schwerstkranke und ihre Angehörigen zu Hause betreut.
Leseprobe
Vorwort Niemals habe ich daran gedacht, ein Buch zu schreiben, und es ist auch nicht so, als würden mir meine Arbeit als Palliativmedizinerin und der Familienalltag als Mutter dreier Söhne viel Muße lassen. Eines Tages jedoch rief mich Frau Rotter vom Piper Verlag an. Sie hatte den Film 'Halt auf freier Strecke' von Andreas Dresen gesehen. Darin geht es um die Geschichte eines Mannes, der an einem Gehirntumor erkrankt und zu Hause sterben will. Die Rollen der verantwortlichen Mediziner in diesem Film waren mit echten Ärztinnen und Ärzten besetzt. Eine davon war ich. Meine Aufgabe war es, wie im wirklichen Leben, den Patienten palliativmedizinisch zu versorgen und ihm das Sterben zu Hause zu ermöglichen. Damit stand dieses Thema auf einmal im Licht der Öffentlichkeit. Frau Rotter und ich verabredeten ein erstes Treffen. Sie wollte mehr wissen über meine Arbeit, meine Erfahrungen mit dem Sterben und den Sterbenden zu Hause, über die Angehörigen und deren Nöte sowie über die Hilfe und Beratung, die ich als Palliativmedizinerin leisten kann gegen die Schmerzen, die Komplikationen und die Angst. Denn genau das bedeutet Palliativmedizin: Wir versuchen nicht, zu heilen, was nicht zu heilen ist, wir lindern Schmerzen und Beschwerden und bemühen uns, den Patienten und ihren Angehörigen ihre Ängste zu nehmen. Davon, meinte Frau Rotter, sollte das Buch handeln. Seit vierzehn Jahren begleite ich Sterbende und deren Familien, damit meine Patienten dort sterben können, wo sie gelebt haben. In meinem Beruf habe ich fast ausschließlich mit Krebskranken zu tun. Die Palliativmedizin ist aus der Onkologie hervorgegangen, der Erkenntnis folgend, dass eine Chemotherapie ab einem gewissen Stadium medizinisch sinnlos ist. Man kann gegen das Krebswachstum nichts mehr tun. Es geht nicht länger darum, ob der Patient stirbt, sondern nur noch um die Frage, wie. Und palliativmedizinische Dienste wie 'Home Care Berlin' ermöglichen es ihm, sich für ein Sterben zu Hause zu entscheiden. Sie bilden Netzwerke zur ambulanten Versorgung, und sie vermitteln spezialisierte Pflegekräfte und Palliativmediziner wie mich. Sterben ist ein sehr intimer Prozess. Jeder unheilbar Kranke ist unsicher und voller Angst. Er wünscht sich vor allem Ruhe und Geborgenheit, die er am besten in seiner vertrauten Umgebung findet. Fast jeder Mensch möchte sein Lebensende zu Hause verbringen, im Kreis seiner Familie, seiner Freunde oder auch allein. Fast jeder möchte so sterben, wie er gelebt hat. Doch das Sterben wurde in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgelagert und versteckt. Es findet meist nicht mehr zu Hause statt, sondern in der Anonymität von Krankenhäusern und Pflegeheimen. Obwohl wir wissen, dass es früher oder später jeden von uns trifft, klammern wir es aus unserem Leben aus. Meist ist es nicht die Angst vor dem Tod, die uns an der Auseinandersetzung damit hindert, sondern die Angst vor dem Weg dorthin: vor den Schmerzen und Qualen, dem Alleingelassensein in einer Institution mit fremden Menschen, denen man sich ausgeliefert fühlt. Es ist die Angst vor dem Verlust jeglicher Selbstbestimmung und individueller Würde, vor dem Warten auf den Tod als letzten Gnadenakt. Zumindest diese Angst, nur noch eine Nummer in der medizinischen Maschinerie zu sein, kann uns das Sterben zu Hause nehmen. Um aber unser Sterben so zu gestalten, wie es uns entspricht, müssen wir darüber reden. Wir müssen lernen, das Sterben zu einem unserer Lebensthemen zu machen. Nur wenn wir unsere Wünsche und Vorstellungen auch mitteilen, wissen unsere Angehörigen und Freunde, wie sie in unserem Sinne reagieren sollen, wenn es so weit ist. Wir selbst sind dafür verantwortlich, dass an unserem Lebensende Menschen da sind, die sich um uns kümmern. Ein Leben, das ohne Rücksicht auf andere Menschen geführt wurde, in dem es wenig Liebe, Fürsorge und echte Freundschaft gegeben hat, wird meist auch ein einsames Ende nehmen. Gerade im Sterben braucht man tragfähige soziale Bindungen. Das ist oft die Famil