Beschreibung
Der Nanga Parbat, der 'Schicksalsberg der Deutschen': In einer gekonnten Mischung aus Bergreportage und Hintergrundschilderung, gestützt auf zeitgenössische Berichte, Briefe und Tagebücher, erweckt Ralf-Peter Märtin ein packendes Kapitel des Abenteuers Berg zum Leben und erzählt die Geschichte des Alpinismus neu: tödliche Dramen von Ehrgeiz und Eitelkeit - und von übermenschlicher Kraft und Leistung zugleich. Vom ersten Versuch des Engländers Mummery mit Tweedjacke und Hanfseil zum 'alpinen Stalingrad' des Dritten Reichs, vom Triumph des Erstbesteigers Hermann Buhl 1953 zur Tragödie der Messner-Brüder und darüber hinaus.
Autorenportrait
Ralf-Peter Märtin, geb. 1951 in Eisenach, gestorben 2016 in Brensbach, war Historiker und Sachbuchautor, und hat als Reporter für "Die Zeit" Reinhold Messner auf seinen letzten Reisen zum Nanga Parbat begleitet. Seine Reportagen über Archäologie, Entdeckungsreisen und Alpingeschichte erschienen in "GEO", "National Geographic" und der "FAZ".
Leseprobe
AUFSTIEG Als ich nach fünf Wochen das Diamir-Tal verließ, konnte ich kein Geröll mehr sehen. Das ewige Braun und Grau der schottrigen Berge hing mir zum Hals heraus. Das Donnern der Lawinen nahm ich nicht mehr wahr. Das Weiß der Gipfel der Ganalo- und Mazeno-Kette brannte in meinen Augen. Am Beginn der Schlucht, durch die der schmale Pfad zum Indus hinunterführt, drehte ich mich noch einmal um: Von ungeheurer Massigkeit, hoch, steil, eisgepanzert, wuchtete die Westflanke des Nanga Parbat in einen stahlblauen Himmel. Der letzte Schein der untergehenden Sonne ließ das Gipfeltrapez golden aufflammen. Die tieferen Regionen versanken in abweisender Dunkelheit. Das Spiel des Lichtes, in den Alpen für eine Kitschpostkarte gut, hatte hier im Himalaja nichts Malerisches. Der Berg lockte und drohte zugleich. Wie ein spöttischer Gruß zum Abschied flackerte noch einmal Helligkeit um den höchsten Grat des 'Königs der Berge'. Plötzlich wußte ich: Ich würde wiederkommen. Zwei Träger hatten meine Bücher und eine alte mechanische Schreibmaschine ins Basislager geschleppt. Ich las bei strömendem Regen und bei brütender Hitze. Manchmal war es so kalt, daß ich meine Notizen mit Handschuhen tippte. Zurückgekehrt nach Europa, fesselte mich das Thema immer mehr. Kein Berg hat eine so bewegte Geschichte wie der Nanga Parbat. Er war der erste Achttausender, den man zu besteigen versuchte. Man schrieb das Jahr 1895, und der beste Kletterer Englands, Albert Frederick Mummery, besaß die ungeheure Kühnheit, diesen Riesen mit Nagelschuhen, Hanfseilen und in einer Tweedjacke anzugehen. In den dreißiger Jahren wurde der Berg für die Deutschen, was der Everest für die Engländer war. Beide Nationen wetteiferten darum, 'ihren' Achttausender als erste zu 'erobern', aber nur die deutsche 'Heldenrasse' verwandelte das Objekt ihrer Begierde in ein alpines Stalingrad, dem 26 Bergsteiger und Sherpas zum Opfer fielen. Bei der größten Katastrophe in der Geschichte des Alpinismus starben Willy Merkl, Willo Welzenbach und Karlo Wien. Durch ihren Tod avancierte der Nanga Parbat zum 'Schicksalsberg der Deutschen'. Wie konnte es geschehen, daß sich die Elite der deutschen und österreichischen Bergsteiger so willfährig vor den Karren des Dritten Reiches spannen ließ? In den fünfziger Jahren geriet der Berg zum Symbol des 'Wir sind wieder wer' der jungen Bundesrepublik Deutschland, zum ersten Sieg nach dem Zusammenbruch 1945. Hermann Buhl, der Gipfelsieger von 1953, war der erste moderne Bergsteiger, unpolitisch, naiv und leistungsorientiert. Später, in den siebziger Jahren, ist der Nanga Parbat auch zum Schicksalsberg Reinhold Messners geworden, der hier seinen Bruder Günther verlor und mit der ersten Solobesteigung eines Achttausenders Alpingeschichte schrieb. Aus den Büchern und Aufzeichnungen der Toten, aus Interviews mit den lebenden Akteuren habe ich Biographien, Motive und Expeditionen rekonstruiert. Ich verfolgte ihre Spuren durch die Archive und die zeitgenössische Presse überallhin, wo es nötig war: zum Nanga Parbat, Kangchendzönga und Everest, zum Eiger, Hidden Peak und zur Annapurna, zum englischen Alpine Club, dem Akademischen Alpenverein München und zur Deutschen Himalaja-Stiftung, zum Reichssportfest nach Breslau, in die NS-Ordensburg Sonthofen und in die Dokumentenschränke auf Messners Schloß Juval. Nicht ausgewichen bin ich der 'anderen' Geschichte des Berges, die sich in endlosen Streitereien, Prozessen und persönlichen Verunglimpfungen niederschlug. Vom 'Ehrengericht' über die zwei 'feigen' Österreicher Aschenbrenner und Schneider im Jahr 1935 bis zu den gerichtlichen Auseinandersetzungen, die Buhl 1953 und Messner 1970 mit dem Organisator des deutschen Expeditionsbergsteigens nach dem Zweiten Weltkrieg, Karl Maria Herrligkoffer, führten. Doch diese im Rückblick begrenzten Fehden verblassen vor dem ein Jahrzehnt geführten Streit zwischen den 'Bergkameraden' der 1970er Expedition und Reinhold Messner, der sich zeitweise zu einem alpinistischen Glaube
Schlagzeile
'Am Beispiel der barbarischen Eroberung des Nanga Parbat zeigt Ralf-Peter Märtin eindrucksvoll, dass auch die höchsten Berge der Welt nicht über die Geschichte hinaus-, sondern tief in sie hineinragen.' CHRISTOPH RANSMAYR