Beschreibung
Stefan, Lehrer, nimmt das Angebot Heinrich Seifferts - den er im Jahr zuvor in Arezzo kennen gelernt hat - an, sein altes abgelegenes Bauernhaus in der Toskana zu bewohnen. Der Leser erlebt, wie Stefan sich das Haus und die Umgebung bewohnbar macht, wie er bekannt wird mit den Menschen im Dorf, wie er Heinrich besucht, der seine Nichte Selina aus Deutschland erwartet. Es sind die Jean-Paul'schen Themen Liebe, Tod und Unsterblichkeit, die sich langsam entwickeln. "Er ist der ernsthafteste Autor, den ich kenne." (Peter Handke)
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Leseprobe
Die erste Reise ins Valdarno, im letzten Sommer, hatte er völlig ahnungslos angetreten. Vor der Abreise war er die meiste Zeit schlaflos im Bett gelegen. Am Vorabend hatte er den Wagen, der mit umklappbaren Rücksitzen ausgestattet war, vollgepackt, auf dem Dachträger eine Matratze fest verschnürt. Um fünf Uhr früh hatte es geregnet. Als er zuletzt um den Wagen herumging, schien ihm, er sei überladen. Auf dem Beifahrersitz lag eine flache Schachtel für Papiere, Lire-Kleingeld, Traubenzucker, eine Landkarte. Ein Lehrerkollege hatte ihm geraten, sonntags zu fahren, sonntags sei wenig Schwerverkehr auf den italienischen Autobahnen. Die Abfahrt im Regen, noch im Dunklen: ein großer Moment. Den Motor starten, Gang einlegen, los. Die Nervosität plötzlich wie weggeblasen. Die nächtlichen Straßen der Stadt leer, das Licht der Lampen spiegelte sich auf der nassen Fahrbahn. Nach der Einmündung auf die Autobahn nahe dem Walserberg um in Richtung Rosenheim in das Inntal zu gelangen, fand er sich plötzlich inmitten einer zweispurigen Kolonne deutscher Urlauber, die aus Italien und Kärnten zurückkehrten, vermutete er. Beim Einlenken auf die Autobahn hätte ihn beinah ein alter Mercedes gerammt, welcher, ihn überholend, im Regenschleier mit hoher Geschwindigkeit schemenhaft, abstandslos an ihm vorbeischnitt und sich vor ihm positionierte. Erschrocken hatte er hinübergeschaut. Der Abstand von Wagen zu Wagen war höchstens ein paar Zentimeter; für einen Moment sah er, daß dieses alte Auto mit mindestens sechs oder sieben Personen besetzt war, der Kopf des vornübergebeugten Fahrers knapp über dem Lenkrad. Nach den ersten dreißig Kilometern in Bayern wurde ihm klar, daß er das Fahren auf der Autobahn hätte üben sollen; nun mußte er mithalten mit den hohen Geschwindigkeiten der übrigen Autofahrer, die ihn, der mit hundertzwanzig Stundenkilometern fuhr, der Reihe nach überholten. Die Sicht war schlecht und wurde erst nach dem Brenner besser. Vor dem Überholen fürchtete er sich bald, besonders vor dem Überholen von Schwertransportern, deren Räder über den gestrichelten Mittelstreifen herüberreichten und nur eine schmale Spur zwischen ihm und den Leitschienen freiließen. In den schnellen Kurven Oberitaliens irritierten ihn beim Überholen bei hundertdreißig Stundenkilometern die auf den Mittelstreifen zwischen den Leitschienen wachsenden Pflanzen und Sträucher, die der Wind hin und her bewegte; sie störten die Wahrnehmung, besser, die Koordination zwischen dem Wahrnehmen der rasend auf ihn zuschießenden bedrohlichen Außenwelt und dem richtigen Reagieren darauf mittels Lenkrad und Gaspedal; er fürchtete, die Kontrolle zu verlieren. Nach der Mittagspause auf einem Parkplatz zwischen Modena und Bologna merkte er, daß er sekundenlang abwesend gewesen war; was sich auf den letzten dreihundert oder mehr Metern ereignet hatte, war ihm nicht erinnerlich. Diese mehr als zehnstündige Autobahnfahrt über den Brenner nach Bologna und Florenz bis zur Ausfahrt San Giovanni Valdarno, der eine weitere fünfzigminütige Fahrt auf Landstraßen und zuletzt Güterwegen folgte, war für ihn Ahnungslosen ungefähr von Bozen bis Florenz das Fürchterlichste, was er je erlebt hatte, und er dachte sich auf dem Parkplatz bei San Giovanni, während er den Rest des warm gewordenen Mineralwassers trank und auf der Landkarte die Orte Terranuova und Paterno suchte: Da du das überstanden hast, kann dir im Leben nicht mehr arg viel geschehen. Währenddessen waren auf dem sonst leeren, schattigen Parkplatz drei junge Männer damit beschäftigt gewesen, in größter Eile alte Möbel, Lampen, Bilder aus einem Lieferwagen mit neapolitanischem Kennzeichen in einen anderen aus Mailand umzuladen. Während er ums Auto herum, dessen Türen er aufgespreizt hatte, gymnastische Streckübungen machte, näherte sich einer und fragte ihn nach Wasser. Hätte er sich diese Autobahnfahrt vorher ausmalen können, wäre er vermutlich nie nach Gello Biscardo gereist. Besonders schrecklich hatte er die Fahrt über d Leseprobe
Schlagzeile
Georg-Büchner-Preis 2009