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Der Mond isst die Sterne auf

cbj
Erschienen am 01.12.2001
8,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783570261224
Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S.
Format (T/L/B): 2.1 x 18 x 12.5 cm
Lesealter: 12-99 J.
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Schöne neue Welt - türkische Identität in Deutschland. War es ein Unfall, ein Selbstmordversuch oder wurde Seyfullah Gülen von Skinheads in die Spree geschmissen? Fest steht, dass Ömers Vater seit jener Nacht in einem Berliner Krankenhaus mit dem Tod ringt. Während die Vorurteile toben, die Presse ihn mal als Naziopfer, mal als windigen Ausländer darzustellen versucht, und die Polizei lustlos die üblichen Verdächtigen vernimmt, beginnt für Ömer eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit seines Vaters. Was dabei ans Tageslicht kommt, ist eine menschliche Tragödie. In den sechziger Jahren nach Deutschland gekommen, verliebt sich Ömers Vater in eine junge deutsche Frau. Die beiden heiraten, kurz darauf wird ihre Tochter geboren. Dann erreicht ihn die Nachricht aus der Heimat. Die Mutter liegt im Sterben. Ömers Vater kehrt zurück und verspricht der Mutter auf dem Sterbebett, ein Mädchen aus dem Nachbardorf zu heiraten. Noch nie hat er sich dem Willen der Familie widersetzt. Jahrzehntelang führt er fortan ein Doppelleben. Der Vater stirbt, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Fragen bleiben offen, Ömer will auch gar nicht mehr alles wissen: Leider gibt es im Leben kein richtig und falsch, so praktisch das auch wäre.

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Autorenportrait

Dilek Zaptcioglu wuchs in Istanbul und Hamburg auf und studierte Geschichtswissenschaften in Istanbul und Göttingen. Bis 1988 war sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Bizim Almanca" (Unser Deutsch). Seither arbeitet sie als Deutschlandkorrespondentin der türkischen Tageszeitung "Cumhürriyet" sowie für verschiedene deutsche Tages- und Wochenzeitungen ("Der Tagesspiegel", "taz", "Die Woche"). "Der Mond isst die Sterne auf" ist Dilek Zaptcioglus erster Roman.

Leseprobe

Erst zog die thrakische Ebene mit ihren fruchtbaren, grünen Feldern vorbei, dann kam die Grenze. Die türkischen Zollbeamten gingen hastig durch die Waggons, der Dolmetscher, der zugleich die Übermittlungsarbeit der Männer bis zu ihren Ankunftsorten erledigte und dafür von den Deutschen bezahlt wurde, reichte den grimmigen Beamten die eingesammelten Pässe. Sie waren nagelneu, die Ausreisedokumente, kein einziger Fleck befand sich auf den frisch gestempelten Seiten. Der Pass war das neue heilige Buch der Männer geworden, sie hatten ihn gepflegt und gehütet, würde er sie doch wie eine magische Formel über alle Grenzen schleudern, bis hin nach Deutschland, in die fremdeste Fremde, die es bis dahin gegeben hatte. 'Stimmt es, dass die Deutschen die Neuankömmlinge töten, um sie zu Seife zu verarbeiten?', hatte gleich nach der Abfahrt ein Mann aus Erzurum den Dolmetscher gefragt. Für einen Moment war es im Abteil unheimlich still geworden, alle hatten betroffen auf den Boden geschaut, wie eine Bande von Verbrechern, die sich ergreifen lässt, ohne die Beute vorher untereinander aufgeteilt zu haben. Der Dolmetscher hatte unerhört geflucht, bevor er ging, und sich bis zur Grenze nicht mehr gezeigt. Aber der Schreck saß den Männern im Abteil noch lange in den Knochen. Kaum einer schlief. Gelegentlich wurden Proviantpakete geöffnet, Brot und Käsestücke, Äpfel und selbst gebackene Rosinenteilchen wurden einzeln ausgewickelt und wortlos miteinander geteilt. Gelbbraune Felder zogen vorbei, die Ernte schon eingeholt, die wilde, hügelige Landschaft des Balkans, wo der Zug auf seinem Weg am Bergrand manchmal so nahe an den Abgrund kam, dass den Männern der Atem stockte. Unten schlängelte sich ein schmales Flüsschen durch ein runzliges Tal, vereinzelte Häuser deuteten auf Menschen hin, jemand glaubte sogar zwischen den Dächern ein Minarett erkannt zu haben, was ein kurzes Gespräch über die Gebetszeiten verursachte, die man als Reisender nicht einzuhalten brauchte. Aber kein Thema war interessant genug, um die selbst gewählte Stille für längere Zeit zu unterbrechen. Man rauchte, nickte kurzzeitig ein, träumte im Halbschlaf vor sich hin, ging im Gang vor den Abteilen auf und ab und wartete. Wartend und träumend hatten sie schon Wochen und Monate verbracht, bevor sie im großen, rußgeschwärzten Bahnhof Istanbuls in diesen Zug gestiegen waren. Erst war die Nachricht in die Dörfer gelangt, dass Deutschland türkische Arbeiter anheuern wollte. In Seyfullahs Dorf wurde die Botschaft von einem cleveren Burschen gebracht, der schon vor drei Jahren nach Istanbul gegangen war, um dort sein Glück zu suchen, unter dem Pflaster, wo es vor Gold nur so wimmeln sollte. Einmal war er nach zweieinhalb Jahren zurückgekommen, um seinem Vater die Hand zu küssen, es war Opferfest, alle Männer hatten sich im Kaffeehaus versammelt und bedächtig den Erzählungen des Mannes gelauscht. 'Das Gold ist da, bestimmt!', hatte er gesagt. 'Aber es ist so tief vergraben, dass man nicht sofort rankommt.' Daraus hatten die Männer geschlossen, dass es ihm bisher nicht gelungen war, den Schatz Istanbuls zu heben. Warum sollte er sonst immer noch denselben Anzug tragen, den er sich vor seiner Abreise bei einem fliegenden Händler in der Kreisstadt gekauft hatte? Der Mann war nach zwei Tagen wieder gegangen, danach kam das Gerücht auf, dass er den Schatz Istanbuls sehr wohl gehoben hatte, es jedoch vor den Dörflern verheimlichte, um nichts davon abgeben zu müssen. Als derselbe Mann nach der Erntezeit wieder erschien, war er wie verwandelt. Aufgeregt, ja völlig außer sich hatte er erzählt von Deutschland, von den vollen Zügen, die jeden zweiten Tag den Bahnhof in Istanbul verließen, von großen und blonden Deutschen, die von weit her gereist waren, um die Bewerber zu untersuchen, und davon, dass nur wenigen das Glück beschieden war, die große Reise zum Geld anzutreten. Er hatte sich im Kaffeehaus in die Mitte neben den Ofen gestellt und gefragt: 'Wer will seine ...