Beschreibung
Zum 60. Jahrestag der Gründung der CDU/CSU-Fraktion im September Im Medienzeitalter richten sich die Kameras vorwiegend auf die Exekutive. Häufig wird dabei übersehen, dass jede Bundesregierung mit den sie tragenden Fraktionen steht und fällt. Ausgewiesene Politologen und Historiker widmen sich nun der Schlüsselrolle von Fraktionen im deutschen Regierungssystem am Beispiel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Über 40 Jahre hinweg hat sie die Bundeskanzler gestellt und insgesamt 20 Jahre lang Macht und Ohnmacht der Opposition ausgekostet. Zum 60. Geburtstag der Verfassungsorgane ist es an der Zeit, die Geschichte der Bundesrepublik einmal mit Blick auf eine der maßgeblichen Bundestagsfraktionen zu analysieren. Renommierte Historiker und Politologen widmen sich einem oft übersehenen politischen Machtfaktor: der Fraktion.
Autorenportrait
Hans-Peter Schwarz, geboren 1934, zählt zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland und ist u.a. Verfasser des zweibändigen Standardwerks zu Konrad Adenauer (1986/91) sowie einer vielbeachteten Biographie zu Axel Springer (2008). Für sein Werk erhielt Schwarz mehrere Auszeichnungen, u. a. den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik.
Leseprobe
Am Anfang war Adenauer. Dieser häufig zitierte Satz Arnulf Barings trifft auch auf die CDU/CSU-Fraktion zu. Als diese am 1. September 1949 im Bonner Bürgerverein zur konstituierenden Sitzung zusammentrat, wurde sie von Dr. Adenauer, damals Vorsitzender der CDU in der britischen Zone, mit den folgenden Worten eröffnet: "Meine Freunde! Unser Seniorchef ist Herr Gronowski. Herr Gronowski hat mich gebeten, die Sitzung zu eröffnen. Vielleicht sind Sie auch damit einverstanden, daß ich so lange die Versammlung leite, bis wir zur Konstituierung der Fraktion übergegangen sind und einen Vorstand gewählt haben." Damit hatte er von Anbeginn an den Gang der Erörterungen in der Hand. Als man schließlich zur Wahl des vorläufigen Fraktionsvorstands für die nächsten Wochen schritt, war es selbstverständlich, daß die Fraktion Adenauer einstimmig zum Vorsitzenden wählte. Jedermann wußte schon oder ahnte es zumindest, daß sich Adenauer mit der für ihn charakteristischen Mischung von Zielklarheit und taktischer Raffinesse bereits auf dem Weg befand, der erste Bundeskanzler zu werden. Grundlegende Richtungsentscheidungen zur "kleinen Koalition" mit FDP und Deutscher Partei waren in vorhergehenden Besprechungen Adenauers mit maßgeblichen Gruppierungen und Einzelpersonen bereits getroffen. Doch zeigte sich Adenauer sorgsam bedacht, der erstmals versammelten Fraktion noch vor Eintreten in die Beratungen zu versichern, "daß die Fraktion allein das Recht hat, über die Regierungsbildung zu entscheiden, und daß deswegen der Fraktion nicht vorgegriffen werden durfte." Allerdings setzte er im gleichen Atemzug einschränkend hinzu, "daß keine parlamentarische Fraktion ein Wesen ist, das völlig für sich besteht, sondern jede Fraktion irgendeines Parlamentes muß die engste Fühlung halten mit ihrer Partei." Aber es seien ja nur "Vorbesprechungen" geführt worden. Wie gewichtig diese waren, zeigte sich allerdings im Fortgang der Diskussion. An einem kritischen Punkt der Beratungen, als Zweifel am Goodwill der FDP aufkamen, ließ Adenauer die Katze aus dem Sack. Der FDPVorsitzende Blücher habe ihm gegenüber zugestimmt, die CDU solle den Kanzler, den Wirtschaftsminister, den Finanzminister, den Bundesminister des Innern und einen Arbeitsminister aus den Reihen der christlichen Arbeitnehmerschaft stellen. Nachdem er das kundgetan hatte, fuhr er mit kaum verhülltem Zynismus fort: "Ich habe weiter dem Herrn Blücher gesagt, daß das Ahlener Programm und die Düsseldorfer Leitsätze die Grundlagen unserer Politik seien (Zurufe: Wunderbar!). Eine notarielle Urkunde kann man aber beim besten Willen nicht machen, wenn man eine Koalition schließt". Es gebe freilich seitens der FDP eine wichtige Forderung, die noch vor Bildung der Bundesregierung erfüllt werden müsse: Theodor Heuss solle zum Bundespräsidenten gewählt werden. Selten danach hatte die erstmals zusammentretende, aus drei Besatzungszonen und elf Ländern kommende, bunt zusammengewürfelte CDU/CSU-Fraktion so weitreichende Grundsatzentscheidungen zu treffen, die den Kurs der Bundesrepublik auf lange Zeit hinaus bestimmen sollten: faktische Akzeptanz Adenauers als Kandidat für das Bundeskanzleramt und Beauftragung des Fraktionsvorstands, über eine kleine Koalition im Zeichen der Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards zu verhandeln, wobei an der Wahl von Theodor Heuss zum Bundespräsidenten kein Weg vorbeiführen würde, dies trotz gravierender kulturpolitischer Gegensätze zu den Freien Demokraten. Ein gleichfalls historischer Vorgang hatte sich gleich zu Beginn dieser denkwürdigen Sitzung vollzogen. Nach gutem altem parlamentarischem Brauch, an dem bis zum heutigen Tag festgehalten wird, wurden zuerst die Namen aller Fraktionsmitglieder aufgerufen. Dann aber erteilte Adenauer dem bayerischen Staatsrat Fritz Schäffer das Wort. Schäffer, aus dem wenig später der mächtige Bundesfinanzminister der Jahre 1949 bis 1957 werden sollte, erklärte jetzt vor versammelter Fraktion: "Die Abgeordneten, die auf den Namen der bayerischen L