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Verwaltete Illusionen

Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolger 1990-2000

Erschienen am 05.12.2005, 1. Auflage 2005
58,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593379791
Sprache: Deutsch
Umfang: 544 S.
Format (T/L/B): 3.4 x 22.9 x 15 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Mehr als 8000 Betriebe der ehemaligen DDR mit etwa vier Millionen Arbeitnehmern wurden nach 1990 privatisiert oder stillgelegt, mehr als ein Drittel der Fläche der DDR stand zu verkaufen oder zu verpachten. Die mit diesen Aufgaben betraute "Treuhandanstalt " war eine Großbehörde mit zeitweise 4000 Mitarbeitern und zahlreichen Unter- und Nebenorganisationen, die zum Teil noch Jahrzehnte existieren werden. Die Treuhand war jedoch weit mehr als eine Privatisierungsagentur, sie war vor allem eine politische Institution. Sie wurde zum Symbol der negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Systemwechsels von der Plan- zur Marktwirtschaft, die sie selbst nicht verursacht, deren politische Kosten sie gleichwohl aufzufangen hatte. Mit diesem Band wird die erste umfassende politische Institutionengeschichte des Treuhandregimes von 1990 bis 2000 vorgelegt. Die Untersuchung fußt auf einer Vielzahl bislang nicht ausgewerteter Dokumente und auf umfangreichen Insiderquellen, darunter mehr als 150 Interviews mit Zeitzeugen.

Autorenportrait

Wolfgang Seibel ist Ordinarius für Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz.

Leseprobe

Unter dem Namen "Treuhandanstalt" arbeitete vom 1. März 1990 bis zum 31. Dezember 1994 eine staatliche Behörde zunächst der DDR, ab dem 3. Oktober 1990 dann der Bundesrepublik Deutschland, deren Aufgabe die Verwaltung und Verwertung des früheren "volkseigenen Vermögens" in Gestalt von Wirtschaftsbetrieben und Liegenschaften war. Der Treuhandbesitz umfasste am 31. Dezember 1990 8.810 Gesellschaften und Vermögensobjekte, darunter rund 8.000 Betriebe mit etwa vier Mio. Arbeitnehmern und rund 40% der Fläche der früheren DDR. Die Bezeichnung "Treuhandanstalt" wurde zum 1. Januar 1995 in "Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben" (BvS) geändert. Ab Sommer 1999 erfolgte die schrittweise Übertragung der operativen Aufgaben der BvS auf die Finanzierungs- und Beratungsgesellschaft (FuB), eine Tochter der Kreditanstalt für Wiederaufbau, ein Prozess, der mit einer Serie von Geschäftsbesorgungsverträgen bis zum 31. Dezember 2000 abgeschlossen war. Mit dem Gesetz zur Abwicklung der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben vom 28. Oktober 2003 wurde die BvS mit Wirkung vom 1. Januar 2004 auf ein Abwicklungsorgan in Regie der Kreditanstalt für Wiederaufbau reduziert. Zu den verbleibenden Aufgaben gehörte zu diesem Zeitpunkt die Überwachung von 1.450 Kaufverträgen und die Liquidierung von 420 Firmen. Die schon zu Beginn der 1990er Jahre abgespaltenen Gesellschaften für die Verwaltung und Verwertung des staatlichen Liegenschaftsbesitzes in Ostdeutschland, die Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt (TLG) und die Bodenverwaltungs- und -verwertungsgesellschaft (BVVG), werden allerdings noch für lange Zeit bestehen bleiben. Die vorliegende Untersuchung bezieht sich auf die Dauer des eigentlichen Treuhandregimes, also auf die Jahre 1990-2000. Hier wird eine politische Institutionengeschichte vorgelegt. Diejenigen Faktoren, die seit 1990 in erster Linie öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden haben - die regionalwirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Treuhandregimes, seine rechtliche Seite, seine finanzielle und fiskalische Dimension - kommen nur insoweit zur Sprache als sie eine Bedeutung auch für die politische Funktion der Treuhandanstalt und ihre Nachfolgeeinrichtungen hatten. Diese Betrachtung wird durch die Natur des Gegenstandes nahegelegt und sie vermittelt darüber hinaus einige Lehren allgemeiner Natur. Die Treuhandanstalt und ihre Neben- und Nachfolgeeinrichtungen waren nicht nur umstritten, sondern im Hinblick auf wesentliche Teile ihres gesetzlichen Auftrags, insbesondere bei der Schaffung wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstrukturen in Ostdeutschland, auch erfolglos. Ihre Stabilität verdankte sich also weder ihrer Legitimität in den Augen der Betroffenen noch der Leistung in der Sache. Die bemerkenswerte Dauerhaftigkeit des Treuhandregimes weit über das Datum der formellen Auflösung der eigentlichen Treuhandanstalt 1994 hinaus erklärt sich vielmehr aus dem Nutzen, den es für die wichtigsten politischen Akteure, aber damit auch für die Allgemeinheit abwarf. Für die Bundesregierung war das Treuhandregime eine Entlastung nicht nur in operativer Hinsicht. "Die Treuhand" in Berlin übernahm auch eine Sündenbockfunktion für die strategischen Entscheidungen des Jahres 1990, die eigentlich die Politiker in Bonn zu vertreten hatten. Für die ostdeutsche Bevölkerung hätte insofern die Treuhandanstalt erfunden werden müssen, wenn es sie nicht schon gegeben hätte. Das Treuhandregime kanalisierte den politischen Unmut, der ansonsten in Destabilisierung nicht nur einer Institution, sondern der Gesamtkonstruktion der Wiedervereinigung hätte umschlagen können. Allerdings hätte diese Neutralisierung nicht funktioniert, wenn ostdeutsche Länder und die Gewerkschaften sie nicht mitgetragen hätten. Auch für sie warf das Treuhandregime Nutzen ab. Die neu gegründeten Länder hätte die Privatisierung des volkseigenen Vermögens der untergegangenen DDR restlos überfordert und sie konnten nichts dagegen haben, wenn ihnen der Bund außer diesen materiellen Aufgaben auch noch die Legitimationslasten der wirtschaftlichen Umwälzung und ihrer sozialen Folgen abnahm. Die Gewerkschaften wiederum konnten sich mit Hilfe der Treuhandanstalt als handlungsfähige Interessenvertreter profilieren, die der Berliner Behörde in zahllosen Verhandlungen und dennoch auf sichtbare Weise Zugeständnisse im Interesse der Belegschaften abtrotzten. (.)

Schlagzeile

InhaltsangabeVorwort Primat der Politik Einleitung Logik der Institutionenbildung TEIL I NATIONALE INTEGRATION UND "VOLKSEIGENES VERMÖGEN"