Beschreibung
In diesem Buch, das zu den klassischen Werken der neueren Soziologie gezählt werden kann, beschäftigt sich Erving Goffman damit, wie wir uns in Situationen verhalten, in denen wir anderen begegnen. Goffman sucht Interaktionsmuster in den alltäglichsten Handlungsformen, wie etwa im gegenseitigen Anblicken oder in der höflichen Gleichgültigkeit, die wir Unbekannten gegenüber im Aufzug zeigen. Diese Muster leitet er aus den detaillierten Beschreibungen von Etikettenbüchern ab, greift aber auch auf seine Beobachtungen in der Psychiatrie zurück. Dabei entdeckt er, dass die Interaktion zwischen Menschen selbst schon eine Art Öffentlichkeit ist, die durch unsere gegensei- tige Wahrnehmung entsteht, und analysiert diese Öffentlichkeit in einer Feinheit und Genauigkeit, die noch immer ihresgleichen sucht.
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Autorenportrait
Erving Goffman (1922 - 1982), gehört zu den meistgelesenen Soziologen der USA und war ein Vorreiter der geschlechtersoziologischen Interaktionsforschung.
Leseprobe
Die Öffentlichkeit der Interaktion Hubert Knoblauch Erving Goffman zählt mittlerweile ohne Zweifel zu den soziologischen Klassikern. Diesen Titel verdient er keineswegs nur aufgrund seiner Bedeutung für die Soziologie als akademisches Fach. Goffmans Ruf geht auch auf seinen Erfolg außerhalb der Soziologie zurück: Er ist bis heute einer der meistgelesenen soziologischen Autoren. Im Unterschied jedoch zu vielen, die eine nur zeitweilige Popularität genießen, wird Goffman seit Jahrzehnten - und auch nunmehr Jahrzehnte nach seinem Tod - noch immer gerne gelesen, und seine Lektüre inspiriert weiter zu neuen Forschungen. Diese Zeitlosigkeit macht ihn zum Klassiker - und sie ist auch der Grund für die Neuausgabe dieses Buches in einer bearbeiteten Übersetzung. Seine Zeitlosigkeit verdankt sich sicherlich seinem Gegenstand, der in gewisser Hinsicht selbst zeitlose Züge trägt. Goffman beschäftigt sich nämlich mit der Interaktion zwischen Menschen. Er fragt: Was geschieht, wenn zwei oder mehr Menschen sich in gemeinsamer Gegenwart befinden? Viele würden diese Frage mit dem Hinweis auf den Status, die Klassenzugehörigkeit oder andere "strukturelle" Merkmale der Beteiligten beantworten. Wenngleich Goffman diese Antwort keineswegs von der Hand weist, möchte er den Blick primär auf etwas anderes lenken: auf den Umstand, dass sich immer dann, wenn sich zwei Menschen in gemeinsamer Gegenwart befinden, ein Regelwerk der Interaktion entfaltet, das nicht auf andere "strukturelle Faktoren" (Klassenhabitus, Lebensstil, Milieuprägung) zurückzuführen ist. Die Interaktion bildet einen Bereich sui generis, ein "Reich der Interaktion". Auch wenn die Entdeckung der Interaktion als legitimer Gegenstand der Soziologie schon länger zurückliegt, so ist es doch Goffmans Verdienst, die Eigenständigkeit der "Interaktionsordnung" aufgezeigt zu haben. Seine wohl berühmteste Untersuchung betrachtet diese Ordnung mit der geläufigen Theatermetapher. In Wir alle spielen Theater analysiert er alltägliche Interaktionen, als wären sie besondere Darstellungen ("performances") vor einem Publikum. In seinem nicht weniger bedeutsamen Buch zur "Rahmenanalyse" betrachtet er Interaktionen als Abläufe, die ihren jeweiligen Wirklichkeitsakzent - als "Ernst", "Täuschung" oder "Spiel" - selbst im Verlauf der Interaktion anzeigen. Auch im vorliegenden Buch analysiert Goffman die Interaktion. Allerdings nähert er sich hier diesem Thema nicht mit Hilfe einer Metapher. Das Buch zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass Goffman die Analyse der Interaktion in einem Detail betreibt, die über die meisten seiner anderen Arbeiten hinausgeht. Er wirft beispielsweise sein Augenmerk auf die Sprache des Körpers, auf die Blicke zwischen Menschen oder auf die Rolle der Aufmerksamkeit in und für Interaktionen. Es ist bezeichnend für Goffman, dass er dabei auch auf seine Beobachtungen in psychiatrischen Anstalten Bezug nimmt, meint er doch gerade in den vermeintlich "abweichenden" Fällen des "verrückten" Interagierens das Regelwerk der "ganz normalen" Interaktion am deutlichsten erkennen zu können. Als Kontrast zieht er die normativen Vorstellungen von Etikettenbüchern und auch den einen oder anderen literarischen Text heran. Berühmt wurde Goffman vor allem durch seine Anwendung der Theatermetapher, des Ritual- und des Rahmenbegriffes auf die Interaktion. Goffman überträgt dabei häufig nicht nur die einzelnen Begriffe, sondern ein gesamtes Begriffsfeld, das den Schlüssel zum Verständnis der Interaktion bildet. Man könnte eine solche metaphorische Übertragung als unwissenschaftlich bezeichnen, doch ist ihre Funktion nicht zu unterschätzen. Sie erlaubt nämlich eine Art der "Befremdung", die es erst ermöglicht, den offenbar selbstverständlich und als trivial betrachteten Raum der Interaktion zu erkennen, indem sie ihn metaphorisch verfremdet. Wer immer eine Analyse gelesen hat, in der etwa eine mündliche Prüfung "als" Theater oder das Zähneputzen "als" Ritual dargestellt wurde, wird diese Funktion der metaphorischen Verfremdung schnell einsehen. Dass Goffman die Metaphern als Instrumente einsetzt, zeigt sich nicht nur in seinem programmatischen Aufsatz zur "Interaktionsordnung", in dem er sein Forschungsfeld erstaunlich unmetaphorisch, geradezu wissenschaftlich prosaisch beschreibt. Es zeigt sich auch und gerade in der vorliegenden Arbeit, in der er als Grundbegriff das Thema der gesamten Soziologie ansetzt: die soziale Ordnung. Goffman hält eine weitere metaphorische Behandlung des Themas offenbar nicht für nötig, denn sein Gegenstand ist schon befremdlich genug. Zwar bezieht er sich in einem Teil auf Etikettenbücher, die in ihrer normativen Strenge vielleicht schon zu ihrer Zeit etwas Befremdliches hatten. Daneben aber bezieht er sich fortlaufend auch auf seine Beobachtungen in psychiatrischen Anstalten. Die Verhaltensweisen in diesen Anstalten erscheinen auch dem heutigen Leser als durchaus ungewöhnlich - und es ist gerade dieses Ungewöhnliche, das Goffman eine zusätzliche Verfremdung erspart. Dabei zeichnet es seine Arbeit aus, dass er keineswegs mit dem Exotischen der Psychiatrie spielt und sie ironisch bricht. Ganz im Gegenteil besticht seine Analyse dadurch, dass er die "Normalität" der Insassen unterstellt und damit eine Kritik der Psychiatrie vornimmt. Die Psychiatrie ist nicht der Ort der Unnormalität, sondern der Ort einer anderen Normalität, die deswegen anders ist, weil sich die Leute anders verhalten und weil anderes Verhalten von ihnen erwartet wird. Der Bezugspunkt der psychiatrischen Kliniken erlaubt für Goffman eine besondere Betrachtung auffälligen Verhaltens.
Inhalt
Inhalt Die Öffentlichkeit der Interaktion Hubert Knoblauch Vorbemerkung Teil I: Einführung Kapitel 1: Fragestellung Kapitel 2: Einleitende Definitionen Teil II: Nicht-zentrierte Interaktion Kapitel 3: Engagement Die Sprache des Körpers Situatives Engagement Abgeschirmtes Engagement Kapitel 4: Einige Regeln für den Einsatz von Engagement Das Management untergeordneter Engagements Auflagen für Kernengagements Spielräume für Desinteresse Kapitel 5: Einige Regeln über die Objekte des Engagements Selbst-Engagement Geistige Abwesenheit Okkulte Engagements Teil III: Zentrierte Interaktion Kapitel 6: Blickkontakte Höfliche Gleichgültigkeit Die Ordnung des Blicks Zugänglichkeit Rechte auf Abgang Kapitel 7: Bekanntschaft Kapitel 8: Kontakte zwischen Unbekannten Exponierte Positionen Eröffnungspositionen Gegenseitige Offenheit Umgehungen und Brüche Gegenkontrolle Teil IV: Zugängliche Begegnungen Kapitel 9: Kommunikationsgrenzen Konventionelle Schließungen der Situation Zugängliche Begegnungen Beendigung des Engagements durch Konvention Kapitel 10: Die Regelung wechselseitiger Engagements Beschränkungen Anlassbedingtes wechselseitiges Engagement Abdriften Abschirmen Kapitel 11: Eingedämmte Teilnahme Ablenkung von Aufmerksamkeit Grenzkonflikte Eine Szene machen Im-Stich-Lassen Teil V: Interpretationen Kapitel 12: Struktur und Funktion situativer Anstandsformen Kapitel 13: Steifheit und Lockerheit Kapitel 14: Die symptomatische Bedeutung des situativ Unangemessenen Die Gemeinschaft Soziale Einrichtungen Soziale Beziehungen Engagements Kapitel 15: Schlussfolgerungen
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