Beschreibung
Romantische Liebesideale, die als heterosexuell, monogam, in höchstem Maße subjektiviert beschrieben werden können, dominieren nach wie vor unsere Vorstellungen von Liebe. Die Autorinnen und Autoren konfrontieren diese Lebens- und Liebessituationen mit Bildern aus dem medialen Alltag. In diesem Spannungsfeld zwischen persönlichen Beziehungen, gesellschaftlichen Normierungen und etablierter Geschlechterordnung transportiert Popkultur visuelle und sprachliche "Liebes-Codes", deren Bildung und Funktion analysiert wird. Mit Beiträgen von Eva Illouz und Eitan Wilf, Doris Guth, Ruby Sircar, Andrea Braidt, Diedrich Diederichsen, Angelika Baier, Heide Hammer und Gabriele Resl, Stephanie Kiessling, Sissy Szabó
Leseprobe
Love me or leave me - Eine Einleitung Doris Guth, Heide Hammer "Axiom I. Die Anziehung zwischen der einen und der anderen Person ist direkt proportional zu den Vorzügen der anderen und umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung zwischen uns", schrieb Bertrand Russell am 19. Juli 1911 an Lady Ottoline Morrell. Seine professionelle Gewohnheit der Begriffsklärung versucht der Mathematiker und Philosoph Russell auch in diesem Liebesverhältnis anzuwenden; eine Denkbewegung, die seine Verzweiflung über die ungleiche, für ihn weitgehend unbefriedigende Beziehung zu einer Frau des britischen Hochadels mit Ehemann und zahlreichen Liebhabern nicht hinreichend erfassen konnte. Den Unzulänglichkeiten, eine angemessene Beschreibung von Liebe zu präsentieren, entgegnen poetische Werke und Arbeiten aus den vielfältigen Disziplinen der Kunst. Darin wirkt Sprache nicht immer als Medium sich und seine Gefühle zu erklären; das konkrete Gegenüber, die Person, der die Liebeserklärung gilt, ist jedoch zentral. Zugleich sind Liebesverhältnisse nicht nur ein kunstimmanenter Gegenstand der Auseinandersetzung, sondern auch ein wesentlichen Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Jene Formen der Begegnung mit den jeweils Nächsten sind Konstituenten des umgebenden sozialen Gefüges. Kulturwissenschaftliche oder soziologische Ansätze verstehen Liebe als eine kulturelle Praxis, die sich im komplexen Zusammenspiel von individuellem Erleben, physiologischen Faktoren und gesellschaftlichen Implikationen bewegt. Lieben will gelernt sein - im Rahmen juristischer, moralischer, religiöser und politischer Bedingungen, die normativ festlegen, was individuell wahrnehmbar und erlaubt ist. Die Kontingenz der als selbstverständlich und scheinbar natürlich erlebten westlichen Liebesvorstellung, die romantische Liebe, wird durch den Vergleich mit anderen Liebeskonzeptionen deutlich. Dahingehend illustrativ wirkt die Beschreibung sprachlicher Varia- tionsmöglichkeiten der indopazifischen Gesellschaft der Makasser. In der Sicht der Ethnologin Birgitt Röttger-Rössler ist dieses Liebesmodell durch eine deutliche Geschlechtertrennung, die Tradition der arrangierten Ehe und die Polygynie gekennzeichnet. Im Makassarischen gibt es circa 25 Wörter für das deutschsprachige Wort "lieben", das sehr pauschal von "Ich liebe Musik" bis zu "Ich liebe dich" verwendet wird. Dagegen werden die unterschiedlichen Begriffe im Makassarischen sowohl nach der Wahl des Liebesobjektes (Partner, Kinder, Gegenstände und so weiter) als auch nach ihrer emotionalen Intensität differenziert. Es ermöglicht ebenso eine genaue Unterscheidung der verschiedenen Phasen der Verbundenheit zwischen PartnerInnen innerhalb der arrangierten Ehe, die von anfänglicher Sympathie bis zu tiefer emotionaler Zuneigung reichen. Ergänzt wird das komplexe Unterscheidungssystem durch die Berücksichtigung der Prozesshaftigkeit des Liebesgeschehens, seine Wandelbarkeit im Laufe eines Beziehungslebens. Die romantische Liebe als eine mögliche Form der kulturellen Liebespraxis entwickelte sich Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Trotz stetiger Transformationen des Konzepts zeichnen die gegenseitige Erwiderung der Liebe, die Einheit von Sexualität und affektiver Zuneigung, sowie die Betonung der Individualität nach wie vor romantische Vorstellungswelten aus. Die Einzigartigkeit der Liebe bestätigt die Einzigartigkeit des Individuums, wie in dem Song "Love me or leave me" - unter anderen von Nina Simone interpretiert - zum Ausdruck kommt: "Your love is my love. My love is your love". Der darin enthaltene Wunsch nach symbiotischer Verschmelzung und Entgrenzung ist verbunden mit der Konzentration auf eine konkrete Person. In dieser absoluten Setzung der Liebe wird das Paar konstituiert, dessen ausschließliche, gegenseitige Zuneigung eindringlich proklamiert werden kann: "There's no love for nobody else. Say, love me or leave me and let me be lonely You want believe me but I love you only I'd rather be lonely than happy with somebody else" Die Verbindung von Individualität und romantischer Liebe birgt ein hohes Glücksversprechen in sich: Wird die Ausschließlichkeit der Liebe, ihre Ein- zigartigkeit unterlaufen, treten die negativen Aspekte der Leidenschaft zu Tage. Diesen Erfahrungen ist weder durch den zu ermessenden Anteil an der Stabilisierung hegemonialer Verhältnisse noch durch proklamierte wie praktizierte Freiheiten zu entkommen. Die Großzügigkeit der aristokratischen Spielregeln erlaubte etwa eine wenig Aufsehen erregende Parallelführung unterschiedlicher Liebesbeziehungen; Bertrand Russell hält aber auch darin an einem romantischen Liebesideal fest, dessen Ausdruck in der Sehnsucht nach einer stabilen Verbindung mit Ottoline Morrell besteht und entsprechend enttäuscht werden kann: "Wenn man bedenkt, daß Du, die Du zwei Männer ganz hast, sehr leiden würdest, hättest du nur anderthalb, kannst Du Dir vorstellen, daß es hart ist, sich mit einer Hälfte zu begnügen, was dreimal weniger ist als das, was Dich nicht zufriedenstellen würde." In der Perspektive der Cultural Studies verfolgen wir die changierenden Bewegungen zwischen dem überaus intimen, persönlichen Bereich der Liebesbeziehungen und ihren gesellschaftlichen wie medial vermittelten Faktoren. Das politisch subversive Potential der Liebesheirat liefert hinreichend Stoff für Cinderella-Mythen - mittlerweile auch mit vertauschten Rollen (Hugh Grant und Julia Roberts in Notting Hill ) - oder Versuchen, zumindest der Herkunftsfamilie zu entkommen, wenn das Überschreiten der Klassengrenzen nicht gelingt. Selbst die Plattformen im Web 2.0 zeigen konstante Erwartungshaltungen an die PartnerInnenwahl: Frauen bevorzugen sozial höher gestellte Beziehungspartner, während Männer gerne die Geschlechterdifferenz über ihr höheres Einkommen manifestieren. Soweit harmonisieren gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse und heterosexuelle Matrix, die Entscheidungskriterien der PartnerInnenwahl können auch als Anpassungsleistung an die gegebenen Bedingungen interpretiert werden. Das Muster der romantischen Paarbildung erfordert zwar die gegenseitige Wahl und emotionale Zustimmung beider AkteurInnen, zugleich befördert dieses Liebesmodell Abhängigkeitsbeziehungen, die in patriarchalen Verhältnissen gerne auch ökonomisch ausgedrückt werden. Die Etablierung des kapitalistischen Systems und die damit einhergehende Trennung von Produktions- und Konsumptionssphäre dienen, ebenso wie das bürgerliche Konzept von männlicher Erwerbsarbeit und weiblicher Reproduktionsarbeit, als Referenzmodell. In der gegenwärtigen Phase neoliberaler Verwertung sind in diesem Zusammenhang vor allem die Verschiebungen und Dynamisierungen des Individuationsprozesses relevant. Wenn Arbeitszeit und Freizeit zunehmend verschwimmen und die Selbstverantwortung der BürgerInnen in allen relevanten Bereichen der gouvernementalen Logik entspricht, müssen auch das emanzipative Potential des Präfix "selbst-" und der Bereich des Privaten immer wieder neu bestimmt werden. Die Bedeutung des verwertenden Zugriffs auf die gesamte Person, die Forderung ihrer emotionalen, kreativen und kommunikativen Involvierung in den Arbeitszusammenhang, beeinflusst auch die Gestaltung intimer Beziehungen und die darin verorteten Wünsche und Versprechen. In der fortgesetzten Bewegung sozioökonomischer Diversifizierung gilt die Aufmerksamkeit der AutorInnen den medial vermittelten Entwürfen von Liebesverhältnissen, ihren kontextgebundenen Darstellungen. Populärkulturelle Produkte - Musik, Texte und Bilder unterschiedlicher Formate - tragen wesentlich zur Bildung und Unterscheidung von Personen und Gruppen bei. Diese Inszenierungen von Liebe bewegen sich zwischen individuellen Glücksversprechen und normativen Diskursen - ein Changieren zwischen persönlichen Wünschen und Phantasien und normierten Liebespraktiken in einer etablierten Geschlechterordnung. Mit Stuart Hall werden auf diesem "Kampfplatz" ständig Identitäten produz...
Inhalt
Inhalt Love me or leave me - Eine Einleitung Doris Guth, Heide Hammer Geliebte oder Mutter? Eine Kulturkritik radikalfeministischer Kritiken der Liebe Eva Illouz, Eitan Wilf True Love - Liebe in Lifestyle-Zeitschriften Doris Guth "This is the way we live ... and love" - Zur Konstruktion von Liebesverhältnissen in der seriellen Erzählung von The L Word Andrea B. Braidt Sita liebt Radha: Queerness auf der südasiatischen Leinwand Ruby Sicar Ohne Liebe: Durchdringung, Flucht, Erstarrung Diedrich Diederichsen "Wer soll ich für dich sein?" - Liebesdiskurse in deutschsprachigen Rap-Texten Angelika Baier Every you and every me - Über politische Haltungen und romantische Versprechen in literarischen und philosophischen Texten Heide Hammer, Gabriele Resl These foolish things remind me of you - Eine kleine Verschwörungstheorie der Dinge Stephanie Kiessling Vom Winde zerzaust oder Abende des kleinen Glückes: Just a few Love Letters (Ein automatischer copy-paste-Schreibworkshop) Sissi Szabo Autorinnen und Autoren