Beschreibung
Im Vergleich zu Nationalstaaten stehen Imperien unter einem besonderen Legitimationsdruck. Anhand theoretischer Zugänge zu Fragen politischer Legitimation sowie konkreter historischer Beispiele analysieren die Autorinnen und Autoren des Bandes, wie im 19. und 20. Jahrhundert versucht wurde, demokratische Strukturen und imperiale Handlungslogik zu vereinbaren. Eine wichtige Strategie ist das Versprechen von Fortschritt und Modernisierung für die kolonisierten Völker, eine andere die Aussicht auf Frieden und Wohlstand für Zentrum und Peripherie. Diese imperialen Vorstellungen haben bis heute Konjunktur, wie etwa die Debatte um »gerechte Kriege« zeigt. In diesem Kontext bietet der Band einen wichtigen Beitrag zum Verständnis auch gegenwärtiger politischer Prozesse.
Autorenportrait
Herfried Münkler ist Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Eva Marlene Hausteiner ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 'Transformationen der Antike'.
Leseprobe
Von einem imperial turn in den Sozial- und Geisteswissenschaften zu sprechen (Burton 2003), hieße, eine lange Forschungsgeschichte der Beschäftigung mit Imperien zu unterschätzen, die von den frühen Imperialismustheorien über die postkolonialen Studien bis zu den jüngsten globalhistorischen Ansätzen reicht. Wie diese Aufreihung freilich zeigt, handelt es sich hier keineswegs um eine lineare Wissenschaftstradition: An den Imperien, ihrer Definition, Analyse und normativen Bewertung scheiden sich seit jeher die Geister, wobei sich durchaus unterschiedliche Konjunkturen des Interesses feststellen lassen. Das jüngere Interesse an imperialen Ordnungen ist also keine Wende hin zu einem neu entdeckten Gegenstand, sondern eine Wandlung und Weiterentwicklung der Perspektiven, die durch neue empirische und normative Herausforderungen globaler Politik hervorgerufen wird: Eine transhistorische (z.B. Münkler 2005), globalgeschichtliche (z.B. Osterhammel 2009) und typologisierende Beschäftigung mit Imperien (z.B. Maier 2006) als spezifische politische Ordnungsform hat in den vergangenen Jahren an Auftrieb gewonnen und beträchtlich zum Verständnis ihres Funktionierens, historisch wie strukturell, beigetragen. Politische Entwicklungen - nicht zuletzt die Einsicht, dass angesichts der Erosion westfälischer Formen von Staatlichkeit ein lange dominantes Ordnungsmodell seine umfassende Brauchbarkeit eingebüßt hat bzw. diese nie besaß und dass neue Ordnungsbegriffe, etwa des globalen Regierens, diese Lücke nicht füllen können - haben diese Perspektivänderung befördert und so eine Möglichkeit eröffnet, der politischen Wirklichkeit mit neuen Orientierungskonzepten beizukommen. Während die stetig wachsende Literatur über Imperien in den vergangenen Jahren also Entscheidendes zur Erforschung der Struktur, Dynamik, Interaktion und Leistungsfähigkeit von Imperien aus verschiedenen historischen Epochen erbracht hat, stehen systematische Überlegungen zu den Legitimationsstrukturen und -strategien imperialer Ordnungen weitgehend aus. Zwar ruhen die klassischen Imperialismustheorien seit John Atkinson Hobsons Imperialism. A Study aus dem Jahr 1902 wie auch neuere Befunde der postkolonialen Studien auf der Annahme einer generellen Illegitimät imperialer Herrschaft, deren Rhetoriken und Repräsentationen entsprechend ideologiekritischen Dekonstruktionen unterzogen werden. Versuche einer darüber hinausgehenden Typologisierung und Kontextualisierung von Legitimationsstrategien bleiben dagegen weiterhin ein Desiderat - insbesondere, wenn es um die Analyse von Imperien der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart wie dem American Empire, China oder der Europäischen Union geht, deren Definition weiter umstritten ist. Dabei ist die Frage der Legitimität und Legitimation als Grundvoraussetzung jedweder politischen Ordnung auch und gerade für Imperien von zentraler Bedeutung. Dass Imperien unter einem erhöhten Legitimationsdruck stehen angesichts ihres hierarchischen Politikstils, ihrer häufigen Gewalttätigkeit und ihrer ungleichen Kostenverteilung zwischen Zentrum und Peripherie, macht die Auseinandersetzung mit den Strategien imperialer Herrschafts- und Deutungseliten zur Stabilisierung und Rechtfertigung ihrer Herrschaft unerlässlich - zumal das Zeitalter der Imperien, anders als lange vermutet, nicht vorbei ist. Während kleinräumige Ordnungen von der Annahme profitieren, natürlich gewachsen und kollektiv evident zu sein, gilt dies für großräumige Ordnungen nicht (Münkler 2005: 127; vgl. auch Hausteiner in diesem Band). Doch die Notwendigkeit der Rechtfertigung von imperialer Herrschaft gegenüber ihren Kritikern, ihren Eliten und den beherrschten Bevölkerungen ergibt sich nicht nur aus ihrer Dimensionierung: Der expansive Charakter von Imperien, ihre als Instabilität verkennbare Dynamik, ihr missionarischer und universeller Anspruch sind historisch konsistent mit dem Mangel an breiter Partizipationsmöglichkeit der Bevölkerung und mit Zwangsmaßnahmen verbunden. Volatilität und Gewaltträchtigkeit erfordern ständige Rechtfertigung, um ein Imperium zu stabilisieren: "Um die vom Zyklus des Aufstiegs und Zerfalls, gleichfalls von Skandalen, Krisen und Rückschlägen geprägte Ordnung eines jeden Imperiums zu rationalisieren, [muss] sie vom Zentrum aus verrechtlicht und ideologisch und kulturell überhöht werden" (Stuchtey 2010: 18). In der historischen Rückschau ergibt sich der angesichts der hohen humanitären Kosten der Imperienherrschaft zunächst erstaunliche Befund einer enormen Dauerhaftigkeit imperialer Ordnungen, wie sich etwa mit Blick auf Rom, das British Empire und China feststellen lässt, die sämtlich mehrere imperiale Entwicklungszyklen durchlaufen konnten (vgl. etwa Burbank/Cooper 2010). Dies ist sicher nicht allein auf die Effizienz imperialer Legitimationsstrategien zurückzuführen, ohne sie aber auch kaum denkbar. Die von Max Weber aufgestellte Typologie der legitimatorischen Begründungsformen von Herrschaft (Weber 1980 [1921]: 122ff.) - immer noch für jede Analyse politischer Legitimation der evidente Ausgangspunkt - kann für die folgenden Überlegungen zur Legitimation von Imperien zweierlei in Erinnerung rufen. Zum einen führt Weber ganz grundsätzlich vor, dass sozialwissenschaftliches Nachdenken über die Legitimität mit solchen Grundlagen beginnen kann und sollte, die noch keine normative Bewertung implizieren, sondern das politisch-soziale Phänomen der Begründung und Akzeptanz von Herrschaft zunächst vermessen: Legitimitätsglaube impliziert noch keine herrschaftsinhärente Legitimität und muss dies auch nicht. Zum anderen lassen sich, so Weber, anhand der unterschiedlichen Arten des Legitimitätsglaubens dreierlei Legitimitätsgeltungen und also Erscheinungsformen politischer Herrschaft unterscheiden, wobei diese Zuordnung rein idealtypischen Charakter hat. Das bedeutet, dass Formen der Legitimierung konstitutiv mit bestimmten politischen Herrschaftsformen korrelieren, dass aber in der politischen Realität gewöhnlich Mischformen anzutreffen sind. Entsprechend sind Imperien für bestimmte Varianten der Legitimation prädestiniert - doch historisch wie in der Gegenwart hat der Beobachter es mit komplizierteren Gemengelagen zu tun, in denen sich einerseits imperiale Strukturen mit denen des Flächenstaates oder anderer supranationaler Ordnungen überlagern, und in denen andererseits auch unterschiedliche Motive und Narrative der Legitimation je nach aktueller Herausforderung an das Imperium und seine Eliten in immer neuen Mischverhältnissen auftreten. Dass die Legitimierung politischer Herrschaft also ein fortlaufender, umkämpfter Prozess ist, in dem sich die zu rechtfertigende Ordnung stets und vor allem seit dem 19. Jahrhundert gegen Alternativen und gegen ihre Kritiker zu behaupten hat und immer wieder redefiniert (Kielmansegg 1997 [1971]: 68), zeigt sich in Imperien in besonders ausgeprägtem Maße. Nicht umsonst ist die Analyse imperialer Ordnungen historisch aus der Imperialismuskritik entstanden. Das Erfordernis imperialer Rechtfertigung erwächst aber nicht allein aus den Anfechtungen der Imperiumsgegner, sondern auch aus der Notwendigkeit, imperiale Eliten langfristig in die Pflicht zu nehmen und ihre Loyalität zu binden: In Bezug auf flächenstaatliche, demokratische Gesellschaften konstatiert Peter Graf Kielmansegg, dass für die Stabilität eines politischen Systems vor allem die Legitimitätsüberzeugungen und die damit verbundenen "Verhaltenskodizes" von "Führungsminderheiten" ausschlaggebend seien (ebd.: 92f.). Imperien sind in ungleich höherem Maße von Eliten im Zentrum sowie von kooptierten Lokaleliten gesteuert, wobei insbesondere die Entscheidungseliten im Kern des Imperiums ihre je eigenen kurzfristigen Partikularinteressen zugunsten der langfristig relevanten imperialen Räson überbrücken müssen, um ihre Herrschaftsfunktion zu erfüllen. Sind sowohl Imperiumskritiker als auch die tragenden Entscheidungseliten zentrale Adressaten imperialer Legitimation, so erfüllen ...