Beschreibung
Was empfinden Menschen, die sich nur dann lebendig fühlen, wenn sie gewalttätig sind? Wie ist es zu verstehen, daß gerade Menschen anderen gegenüber pathologisch gehorsam sind, obwohl sie von ihnen zutiefst traumatisiert oder verletzt wurden? Täter und Opfer halten die gefährlichste Symbiose aufrecht, ein ganzes Leben lang nacheinander zu suchen. Der linke und rechte Extremismus, die Gewalt in ihren verstecktesten Formen und der offene Terror gegen andere und sich selbst: das sind die Endpunkte der Zerstörungsspirale, die sich scheinbar naturnotwendig dreht. Kann sie nicht angehalten werden? Was ist zu tun? Arno Gruen plädiert für Kultur der inneren Autonomie, die sich nicht als Stärke inszeniert oder Überlegenheit vorgibt. Autonomie ist Übereinstimmung mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Wer derart frei ist, braucht keine Posen, spielt keine Rollen und keine öffentliche Selbstinszenierung. Die Verteidigung gegen den Terror, das Führen von Kriegen ist teurer als alle Investitionen in das Leben. Nur so lassen sich demokratische Gesellschaften retten.
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Autorenportrait
Arno Gruen, 1923 in Berlin geboren, emigrierte 1936 in die USA. Nach dem Studium der Psychologie leitete er ab 1954 die psychologische Abteilung der ersten therapeutischen Kinderklinik in Harlem. 1961 promovierte Arno Gruen als Psychoanalytiker bei Theodor Reik. Es folgten Professuren in Neurologie und Psychologie. Daneben führte er seit 1958 eine psychoanalytische Privatpraxis in Zürich, wo er seitdem lebte und praktizierte. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen beschäftigt sich Arno Gruen mit den psychologischen Ursachen für Autoritätsgläubigkeit, Fremdenhass, Gewalt und Diktatur sowie den emotionalen Voraussetzungen für Demokratie. Für das bei Klett-Cotta erschienene Buch "Der Fremde in uns" erhielt Arno Gruen im Jahr 2001 den Geschwister-Scholl-Preis. Am 20. Oktober 2015 verstarb Arno Gruen im Alter von 92 Jahren.
Leseprobe
Vorwort Ich begann mit diesem Buch im Mai 2001. Ich wollte darin meine Erfahrungen mit dem Rechtsradikalismus zusammenfassen. Während des Schreibens wurde mir jedoch klar, daß ich ausführlicher auf die Frage nach der Entstehung von Gewalt eingehen mußte. Die rechte Gewalt ist ja nur ein Aspekt des Problems. Dann kam der 11. September. Alles Lebende wurde bedroht durch eine überbordende Gewalt. Es war, als ob wir plötzlich eingeholt werden von den Rückwirkungen einer Welt, die Menschen ausbeutet, ihren Leiden und Schmerzen gleichgültig gegenübersteht und die als schwach eingestuften diffamiert. Gewiß: Gewalt ist nicht neu. Sie ist Bestandteil dessen, was alle "großen Zivilisationen" heranzüchten, weil ihre Basis Herrschaft und Besitz sind. Damit gehen die Verachtung menschlicher Werte wie auch die Verachtung des Weiblichen und der Kindheit unserer Kinder einher. Die technischen Entwicklungen dieser Zivilisationen machen es jedoch auf einmal möglich, daß nur wenige Menschen die Welt im Namen Gottes der Zerstörung preisgeben und den Tod als Sieg zelebrieren können. Dieses Ausmaß an Gewalt droht den Verlust unserer eigenen Bedeutung hervorzubringen. Die Leere in uns wird damit entweder zur Quelle einer allgemeinen Apathie und Depression oder sie droht in noch mehr Gewalt auszuufern. Denn für viele führt diese innere Leere zu einem Zustand der Bedeutungslosigkeit, von der sie durch eine Identifikation mit halluzinierter Größe erlöst zu werden hoffen. Wir können diesem Nichts und einem dem Tod verschworenen Radikalismus nur entgegentreten, wenn wir die tieferen Wurzeln dieser ungeistigen Entwicklung entlarven. Sophie und Hans Scholl verstanden, wie der Betrug am Menschen durch scheinbar geistige Argumente verdeckt wird. Sie erkannten, daß man einer Entwicklung, die durch und durch ungeistig ist, nicht mit geistigen Argumenten beikommen kann und darf. Die Sprache der Radikalen, die von Krieg und Vergeltung, von Idealen und Nationalem spricht, mag sich geistig gesund anhören. In ihrer Ignoranz von Ohnmacht, Elend und Demütigung ist sie jedoch völlig von der Realität menschlicher Gefühle und Bedürfnisse abgetrennt. Sie fördert einzig Macht und Größe, die die Grundlage unserer Zivilisationen bilden und deren Auswirkungen wir uns endlich stellen müssen. Terror und Gewalt ist nur Einhalt zu gebieten, wenn die wirklichen Bedürfnisse der Menschen anerkannt werden; wenn wirkliches Elend, wirkliche Armut sowie die Ausgrenzung und Entwürdigung ganzer Bevölkerungsgruppen unterbunden wird. Nur so kann es uns möglich sein, ein Leben, das demokratisch und lebendig ist, aufrechtzuerhalten. [.] 12 Was tun? Das Problem im Umgang mit Gewalt ist das innere Opfer, das nicht als solches erkannt werden kann, weil dies der kulturell vorgegebenen Sichtweise, daß Autoritäten als gut geliebt werden müssen, widerspricht. Dieses innere Opfer "schläft", solange das gesellschaftliche Umfeld es solchen Menschen einigermaßen möglich macht, sich zurecht zu finden, so daß ihre Bedürfnisse nach Anerkennung, Wärme und sozialem Kontakt befriedigt werden. Wenn diese Strukturen jedoch durch gesellschaftliche Veränderungen, wirtschaftliche Nöte durch Arbeitsplatzverlust oder ein Auflösen sozialer Strukturen auseinanderbrechen, sind auch solche Menschen vom Auseinanderbrechen bedroht, weil Angst und Spannungen unerträglich werden. Dann erwacht das innere Opfer und bringt solche Menschen dazu, auf Veränderungen in ihrem Leben mit Haß und Aggression zu reagieren. Dies geschieht jedoch nur, wenn sie den Glauben an die politisch Herrschenden verlieren. Die "starke Hand" macht es möglich, daß das innere Opfer sogar in Zeiten erheblichen Drucks ruhig bleibt. Wenn jedoch dieses subjektiv erlebte Sicherheitsgefühl zu zerbersten droht, erhöht sich das Potential zur Gewalttätigkeit. Die Regierenden demokratischer Gesellschaften können dem entgegenwirken, vorausgesetzt, sie sind sich der Bedürfnisse und der Not dieser Bürger bewußt. In der Realität sieht es aber meistens so aus, daß solche Situationen von politischen Führern ausgenutzt werden, die in ihrem Menschsein gestört sind und das innere Opfer eines Großteils der Bevölkerung für ihre eigene Macht gebrauchen. Dies geschieht, indem ein äußerer Feind etabliert wird, auf den sich die ganze Wut, die Aggression und der Selbsthaß entladen können. Wenn dagegen demokratische Führer sich dieser Möglichkeit bedienen, dann ist es um die Demokratie schlecht bestellt, denn sie werden nie so konsequent Feindbilder liefern können wie die Extremen auf der rechten oder linken Seite. Die Terroristen sind in dieser ganzen Misere nur ein Aspekt. Sie tragen dazu bei, daß Feindbilder verfestigt werden, indem sie ihre Opfer zu Tätern stempeln, wodurch diese für den Tod aller verantwortlich gemacht werden. Unser heutiges Problem, dessen Entwicklung bereits von Marx diagnostiziert wurde, ist die Globalisierung, die über die Bedürfnisse der Menschen hinweggeht und ihnen ihre wirtschaftlichen und persönlichen Grundlagen nimmt. Dadurch wird das innere Opfersein geweckt. Die Dogmen der Globalisierung gründen auf Einheitsdenken, schreibt Ignacio Ramonet, und erklären jede andere Wirtschaftspolitik für unzulässig. Die sozialen Rechte der Bürger werden dem Prinzip des freien Wettbewerbs untergeordnet und alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der Willkür der Finanzmärkte ausgeliefert. Die freie Zirkulation von Kapital und Waren macht diese Globalisierung aus. Von den Politikern wird nur eine Anpassung der nationalen Gesellschaften an diese Globalisierung gefordert. Dadurch hat sich die Entscheidungskompetenz in Sachen Investitionen, Beschäftigung, Gesundheitswesen, Kultur und Umweltschutz vom öffentlichen auf den privaten Sektor verlagert. Die ökonomische Globalisierung und die Kapitalkonzentrationen zerstören den sozialen Zusammenhalt. Wo sie in Erscheinung treten, verstärken sie die wirtschaftliche Ungleichheit, die in dem Maße zunimmt, wie sich die Vorherrschaft der Märkte ungehindert ausbreitet. Diese aus der Globalisierung resultierende Zerstörung der sozialen Zusammenhänge wirkt deshalb so tödlich, weil die Akteure dieses Prozesses, die Wirtschaftsführer, wie C.W. Mills es beschreibt, ihren eigenen Zusammenhalt verloren haben.101 Sie sind nicht in der Lage, ihr zerstörerisches Handeln auf ihre eigenen Bedürfnisse, beziehungsweise auf die ihrer Mitmenschen zu erkennen. Zu sehr sind sie von ihrer eigenen Größe und Macht geblendet, zu sehr sind sie durch die Vorstellung von Größe und Macht als Ersatz für wahre menschliche Beziehungen geformt. Kaum ein Politiker ist heute noch bereit, für die Bedürfnisse der Menschen zu kämpfen, denn das hieße, sich gegen diese wirtschaftlichen Mächte zu stellen, deren Entwicklung eine Eigendynamik hat, da Wachstum das einzige Ziel ist. In diesem Prozeß sind die meisten Politiker zu Handlangern der Globalisierung geworden. Auf diese Weise spielen sie den Terroristen in die Hände. Es geht um wirkliches Elend und wirkliche Armut, und es geht darum, daß durch die Praktiken der Globalisierung zunehmend ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt werden von Wohlstand und dem Gefühl, einen Platz in der menschlichen Gesellschaft zu haben. Diesen Problemen und den Bedürfnissen der Menschen müssen wir uns zuwenden. Gleichzeitig gilt es zu erkennen, daß es bei dem Terror und der Gewalt um das Mörderische der Identitätslosen geht, egal ob diese ihre Ziele als religiös, nationalistisch oder ideologisch heilig sprechen. Auch wenn es nicht offensichtlich ist: Alle Terroristen haben sich einem "Gott" verschworen. Dieser kann religiöser, aber auch politischer oder intellektueller Natur sein. Entscheidend dabei ist, daß Menschen ohne Inneres ständig auf der Suche nach einer überhöhten Macht sind, der sie sich unterwerfen können, eben weil sie kein Eigenes haben. Dabei kann es sich durchaus um gebildete Menschen handeln, wie es ja auch bei den Terroristen des 11. September der Fall war. Die Selbstmordattentäter sind der ext...