Beschreibung
Mit der Durchsetzung des Kapitalismus und der Industrialisierung entsteht im frühen 19. Jahrhundert aus verarmten Handwerkern, städtischem Pöbel, umherziehenden ländlichen Unterschichten, bankrotten Adligen und nicht zuletzt freigesetzten prekären Intellektuellen jenes neue soziale Kollektiv, das man in der Sprache der Zeit bald das Proletariat nennen wird. Allerdings existierte dieses zunächst noch nicht als formierte, homogene Klasse mit angeschlossenen politischen Parteien, die den Weg in die bessere Zukunft vorgeben. Die buntscheckige Erscheinung, die Träume und Sehnsüchte dieser allen ständischen Sicherheiten entrissenen Gestalten fanden neue Formen des Erzählens in romantischen Novellen, Reportagen, sozialstatistischen Untersuchungen, Monatsbulletins. Doch schon bald wurden sie - ungeordnet, gewaltvoll, nostalgisch, irrlichternd und utopisch, wie sie waren - von den Vordenkern der Arbeiterbewegung als reaktionär und anarchisch verunglimpft, weil sie nicht in die große lineare Fortschrittsvision passen wollten. In seiner bahnbrechenden Studie verhilft Patrick Eiden-Offe dem lange verdrängten romantischen Antikapitalismus zu seinem Recht und befreit die Sozial- und Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts aus ihren eindimensionalen Sichtachsen. Dabei wird nicht zuletzt deutlich, dass die historische, poetisch besungene unordentliche Klasse den heutigen Figuren von Prekarität nach dem Ende der alten Arbeitsgesellschaft verblüffend ähnlich ist.
Autorenportrait
Patrick Eiden-Offe, 1971 geboren, ist Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er hat neuere deutsche Literatur, Philosophie, Musikwissenschaft und Kunstgeschichte in Tübingen und Hamburg studiert. 2008 wurde er an der Universität Konstanz mit einer Arbeit über Reichsfantasien im poetischen und politischen Werk Hermann Brochs promoviert (Das Reich der Demokratie. Hermann Brochs »Der Tod des Vergil«, Paderborn 2011). 2008 bis 2011 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Exzellenzcluster Kulturelle Grundlagen von Integration an der Universität Konstanz, 2011 bis 2017 lehrte er an der Universität Duisburg-Essen. Seine Spezialgebiete sind die Verflechtungen von Literatur, Ökonomie und Politik, Robert Walser, das Verhältnis von Literatur und Ethnologie und die Romantik. Seit 2017 untersucht er am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in Berlin die Theoriebildung des jungen Georg Lukács.