Beschreibung
Was ist Verzicht: Vom Brot nur die harte Kante zu essen oder den weichen Teig? wespennest widmet sich in der Herbstausgabe einem durch und durch ambivalenten Phänomen, denn ob etwas als Verzicht erlebt wird, hängt von der jeweiligen Perspektive ab. Auch haben die gängigen Aufrufe zur Bescheidenheit - 'trinkt Wasser, nicht Wein!' - meist einen doppelten Boden, und ob Verzicht grundsätzlich auf Freiwilligkeit beruht, wie die gängige Definition nahelegt, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. In diesem Schwerpunkt wird es um die ideologische Funktion von Bescheidenheitsaufrufen gehen und die ebenfalls ideologische Funktion von unbescheidenen Konsumanreizen. Auf was können wir verzichten? Auf Menschenrechte, auf Utopien? Wir untersuchen die Askese als Widerstandsform und als Gehorsam; es kommen Hungerkünstlerinnen vor, Kochpäpste und zölibatäre Priester, Schriftsteller, die verstummen oder zumindest aufs Publizieren verzichten, Landstriche, die zu keinem Staat gehören wollen, und Geflüchtete, die, um eines neuen Lebens willen, auf fast alles verzichten, was ihre Existenz bislang ausmachte. 'Verzicht' das klingt nach Entbehrung, nach Kriegs und Krisenjahren, und hat daher als Begriff im Wohlstandswesten einen denkbar schlechten Ruf. Doch recht besehen ist Verzicht ein Luxus. Solange wir es uns leisten können, auf etwas zu verzichten, ist die große Katastrophe noch nicht eingetreten.