Autorenportrait
Stephan Krawczyk, 1955 im thüringischen Weida geboren, lebt als Liedermacher und Schriftsteller in Berlin. Seine kritischen Texte machten ihn zu einem der bekanntesten Regimekritiker der DDR. Nach seinem Berufsverbot 1985 konnte er nur noch in Kirchen auftreten. 1988 wurde er verhaftet und in den Westen abgeschoben. Forderten seine Texte zu DDR-Zeiten Meinungsfreiheit ein und prangerten die Zustände im Staat an, wandte er sich nun gegen gedankenlose Umweltzerstörung und globalisierte "Weltbürgerwänste". 2005 erhielt er für sein Wirken den vom Bund der Lutherstädte verliehenen Preis "Das unerschrockene Wort". Von Stephan Krawczyk ist in der edition chrismon außerdem die CD "erdverbunden, luftvermählt" erschienen (Frühjahr 2012).
Leseprobe
Zum ersten Mal traf ich ihn in einer Berliner Eckkneipe, die heute alsSportbar mit riesigen Flachbildschirmen zum Verweilen einlädt. Ein Bekannter hatte mich auf einen Absacker eingeladen. Um unseren Stehtisch tänzelte jener kräftige junge Mann mit Glatze, Springerstiefeln, Aufnähern seiner Bewegung an der Bomberjacke, angetrunken, wenn nicht gar besoffen. Er versuchte meine Augen zu fixieren. Listig wich ich dem Blick aus. Mein Bekannter senkte die Stimme und sagte: "Will der was?" Offensichtlich wollte der was, denn jetzt blieb er stehen und sah mich an wie die Schlange das Kaninchen. Irgendetwas hatte ihn gegen mich aufgebracht. Nur was? Die Frage sollte mir gleich beantwortet werden. Er kam auf mich zu, zog mich an der Schulter unsanft zu sich herum und fragte mit drohendem Unterton: "Wie muss eine deutsche Frau sein?" Man darf einem Streitsuchenden nur in die Augen schauen, wenn man von vornherein weiß, dass er unterlegen ist. Geistig war er mir ganz sicher unterlegen, körperlich war es umgekehrt. Er hätte mich ohne viel Federlesens zusammenfalten können. Ich sah ihm also zuerst auf das Kinn. Dann fiel mir ein, dass mir mein Bekannter vor einigen Minuten von seiner Wohnungsvermieterin, Frau Deutschmann, erzählt hatte. Die hatte ihm wegen einer einzigen etwas zu lauten Party mit Kündigung gedroht. Darauf hatte ich vielleicht etwas zu lautstark erwidert: "Der Frau Deutschmann würde ich aber was erzählen!" "Wie muss eine deutsche Frau sein?", wiederholte er deutlich heiserer. Ich sah ihm fest in die Augen und wartete, bis kurz bevor er meinem Blick ausgewichen beziehungsweise handgreiflich geworden wäre. Dann rief ich im überzeugten Ton der letzten Worte einer Agitationsrede, sehr gesammelt, dennoch forsch und absolut bedeutungsschwanger: "Schwarz! Rot! Gold!"