Beschreibung
Solidarität verlangt die Bereitschaft zu dauerhafter wechselseitiger Hilfsbereitschaft, und zwar über Liebe und Barmherzigkeit hinausgehend. Das setzt eine Ausbalancierung zwischen Abstand und Nähe unter Bürgerinnen und Bürgern voraus, sofern sich nicht der Staat anmaßen will, das Solidarische dirigistisch zu verordnen. Solidarisch gesonnene Zeitgenossen verbinden heiße Herzen mit kühlem Verstand, sie paaren Einfühlsamkeit mit der Anerkennung der Autonomie des Anderen. Doch das geht nicht ohne Konflikte ab. Auch wenn einvernehmliches Miteinander in Zeiten existentieller Krisen etwa des Gesundheitssystems, der natürlichen Lebensgrundlagen oder der Wirtschaft ein Gebot der Stunde ist, lösen sich Interessenunterschiede gesellschaftlicher Gruppen nicht einfach in Luft auf. Häufig helfen uns erst historische Rückblicke, den Ernst einer Lage realistisch einzuschätzen. Dann zeigt sich nämlich, dass sich dort, wo sozialer Zusammenhalt brüchig wird, weil sich hemmungsloser Individualismus Raum verschafft, diese beunruhigende Frage in den Vordergrund schiebt: Kann es überhaupt noch gelingen, das Band der Solidarität wieder fester zu knüpfen, ohne die Freiheit des Einzelnen bei gleichzeitiger Anerkennung sozialer Vielfalt preiszugeben?
Autorenportrait
Jürgen Prott, geboren 1942 in Münster, absolvierte eine Lehre als Schriftsetzer und studierte später auf dem zweiten Bildungsweg in Hamburg Volkswirtschaft. Danach setzte er sein Studium mit Soziologie, Wirtschafts- und Sozialgeschichte fort. Prott war Professor für Kommunikationswissenschaft der FU Berlin und für Industrie- und Betriebssoziologie an der Universität in Hamburg. Er hat über Fragen der Arbeitszufriedenheit und Betriebsorganisation, der Berufs- und Gewerkschaftssoziologie geforscht und publiziert.