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Die Wege, die wir wählen

Erschienen am 25.01.2024
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783963624346
Sprache: Deutsch
Umfang: 432 S.
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

New York, Ende des 19. Jahrhunderts: Der Unternehmer Arthur Stanhope III. hat sich ein mächtiges Imperium aufgebaut. Als er überraschend aus dem Leben gerissen wird, bricht für seine Witwe Sylvia und die jüngste Tochter Adelaide eine Welt zusammen. Zumal sie plötzlich fast mittellos dastehen. Sylvia setzt alle Hebel in Bewegung, um ihrer Tochter auch weiterhin ein schönes Leben im Luxus zu ermöglichen. Doch ihre couragierte Schwiegermutter, die in der Familie schon immer eine Sonderstellung einnahm, hegt andere Pläne. Ihrer Ansicht nach ist es höchste Zeit, wohlgehütete Geheimnisse ans Tageslicht zu bringen. Und damit den Lebensweg ihrer Enkelin womöglich für immer zu verändern Ein mitreißender Mehrgenerationenroman, in dem drei Frauen durch die Enthüllung alter Geheimnisse der Blick für das Wesentliche im Leben geschärft wird.

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Francke-Buch GmbH
Stefan Jäger
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Leseprobe

New York, 1849 'Denk immer daran, wer du bist, Junietta.' Wie ich diese Worte hasste! Noch während ich aus dem Haus eilte, wusste ich, auch ohne dass ich mich dazu umdrehen musste, dass Mamas strenge Ermahnung von einem ebenso strengen Blick begleitet wurde. Und wenn ich die Tür nicht schnell genug schloss, wusste ich auch, welche Worte ich als Nächstes vernehmen würde. 'Du bist eine Van Buren und eine De Witt. Bring keine Schande über diese guten Namen.' Ich entfernte mich mit raschen Schritten, bis mein Elternhaus nicht mehr zu sehen war. Dann ging ich etwas langsamer, um den herrlichen Frühlingsmorgen zu genießen. Meine Großtante Agatha würde es nicht bemerken, wenn ich ein paar Minuten zu spät kam. Sie war eine alte Jungfer, die nicht weit von unserem Haus entfernt wohnte. Ich hatte die Rolle ihrer Gesellschafterin übertragen bekommen. Sie zu besuchen, hatte vor zwei Jahren, als ich sechzehn war, als Pflichtübung begonnen, aber inzwischen war es eine willkommene Flucht vor dem öden Leben zu Hause. Mein Papa, der während meiner Kindheit verschiedene politische Funktionen innegehabt hatte, war zu dem Zeitpunkt dieses schicksalhaften Frühlingsmorgens Senator des Bundesstaates New York. Er begnügte sich damit, meine zwei älteren Brüder William und John auf eine Zukunft in der Politik vorzubereiten. Papa war entweder ein hoffnungsvoller Optimist oder ein närrischer Träumer, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass einer meiner langweiligen, fantasielosen Brüder überhaupt irgendetwas Lohnendes erreichen konnte. William, der fünf Jahre älter war als ich, las nie etwas Schwierigeres als die Tageszeitung. Und John, drei Jahre älter als ich, hätte keine Zahlenreihe addieren können, selbst wenn jemand ihm eine Pistole an die Schläfe gehalten hätte. Ich hatte keine Ahnung, womit er sich an der Universität von Yale beschäftigt hatte. Meine Schwester Mariette, die ein Jahr älter war als ich, hatte sich 'Hübschsein' zum Lebensziel auserkoren - meiner Meinung nach ein weiterer hoffnungsloser Fall - und machte sich die zarten kleinen Finger nicht mit irgendwelchen wohltätigen Verpflichtungen schmutzig, wie zum Beispiel Tante Agatha zu besuchen. Das Baby der Familie, meine Schwester Chloe, war zehn Jahre nach mir zur Welt gekommen. Dazwischen hatte meine Mutter mehrere Fehlgeburten gehabt und mehrere Kinder von ihr waren schon im Säuglingsalter gestorben. Chloe war viel zu sehr damit beschäftigt, sich von Mama und unseren beiden Dienstboten verwöhnen zu lassen, um auch nur ans Erwachsenwerden zu denken. Also fiel die Aufgabe, Tante Agatha zu besuchen, mir zu, der unwichtigen Schwester, die eben übrig war. Zuerst hatte ich es gehasst, in überhitzten, vollgestopften Salons zu sitzen, während Tante Agatha ihre arthritischen Freundinnen besuchte, von denen die meisten so taub waren, dass sie sich bei Tee und Canasta anschreien mussten. Nachmittags half ich meiner Großtante bei ihrer Korrespondenz und las ihr vor, bis sie genauso laut schnarchte wie ihr gemeiner kleiner Schoßhund Tibbles. Aber mit der Zeit entdeckte ich zwei Vorteile meines ansonsten langweiligen Auftrags. Der erste war Tante Agathas Bibliothek, die vorher ihrem Vater und Großvater gehört hatte. Sie war eine wahre Schatztruhe und enthielt Bücher über Geschichte, Literatur, Pflanzen, Geografie und sogar Medizin. Ich verschlang sie alle. Gierig. Der zweite Vorteil war, dass mein Vorlesen Tante Agatha unweigerlich einschläferte, sodass ich Zeit hatte, das zu tun, was ich wollte. Zuerst nutzte ich diese Zeit, um mich in der Bibliothek umzusehen, aber als die Monate vergingen und die meisten ihrer Freundinnen nicht mehr kamen, verließ Tante Agatha kaum noch das Haus. Die arme alte Dame schlief so oft und fest, dass ich mich während ihrer Nickerchen zur Hintertür aus dem Haus schleichen konnte und die Stadt erkundete. Die beiden Bediensteten waren leicht zu bestechen. Sie ignorierten meine Ausflüge und erfanden sogar Ausreden für mein Verschwinden, wenn es nötig war. Manchmal lief ich bis zum Hafen, in dem Segelschiffe mit hohen Masten und Passagiere und Waren aus aller Herren Länder ankamen. Damit hatte ich eine aufregende Welt außerhalb meines ruhigen New Yorker Viertels entdeckt und ich wollte alles davon sehen. Aber selbst ich war nicht so dumm, mich an diesem idyllischen Junimorgen im Jahre 1849 in die Stadt zu schleichen. Eine Cholerawelle, die im letzten Winter begonnen hatte, war jetzt zu einer tödlichen Epidemie geworden. Experten behaupteten, die Seuche werde von schlechter, abgestandener Luft verursacht, und ich wusste, wie schwer und übelriechend die Luft in den Arbeitervierteln war. Ich wollte Tante Agathas Dienstboten anweisen, alle Fenster zu öffnen und die Frühlingsluft hereinzulassen, sobald ich bei ihr ankam. Außerdem sollten sie die Decken und Federbetten lüften. Aber als ich eine Abkürzung durch die Gasse hinter dem Haus meiner Tante nahm und am Kutschhaus vorbeikam, ließ mich der unverkennbare Klang eines weinenden Babys wie angewurzelt stehenbleiben. Einen Moment lang verharrte ich dort und lauschte. Es bestand kein Zweifel. Im Stall meiner Tante weinte ganz eindeutig ein Säugling. Ich fragte mich, ob es ein Findelkind war. Verzweifelte Eltern, die nicht für ihre Kinder sorgen konnten, legten sie manchmal vor die Tür reicher Leute, in der Hoffnung, dass die Eigentümer Mitleid hatten. Die Waisenhäuser waren voll mit solchen ausgesetzten Babys. Ich war gerade nähergetreten, um durch das Fenster zu spähen, als eine Stimme hinter mir mich erschreckte. 'Guten Morgen, Miss. Suchen Sie etwas?' Ich zuckte zusammen und fuhr dann herum. Mir gegenüber stand ein junger Mann, Anfang zwanzig, in ziemlich verschlissener Kleidung. Es dauerte einen Augenblick, bis mir wieder einfiel, dass er der neue Bursche und Kutscher war, den mein Onkel letzte Woche eingestellt hatte. Er war für Tante Agathas alten Diener gekommen. An den Namen des Mannes konnte ich mich nicht erinnern, aber das spielte im Moment auch keine Rolle. 'Im Kutschhaus ist ein Baby', sagte ich. 'Ich habe es weinen hören.' Der Mann nahm seine Mütze ab, aber nicht aus Respekt vor einer Dame, wie es sich schickte, sondern um sich mit den Fingern durchs Haar zu fahren. Es war dicht und lockig und hatte die Farbe von Mahagoni. 'Nee, Miss. Da müssen Sie sich irren. Das war bestimmt ein Vogel, den Sie da gehört haben.' Von meinen Brüdern hatte ich gelernt, dass es wenig Sinn machte, mit einem Mann zu diskutieren, der unvernünftig widerborstig war. Also ging ich einfach zur Tür an der Seite des Stalls und trat ein. Das Weinen hatte inzwischen aufgehört, aber ich ging weiter durch die Räume zu der Ecke, aus der es meiner Meinung nach gekommen war. Der neue Kutscher schien unnatürlich laute Geräusche zu machen, als er mir folgte, denn er stampfte mit den Stiefeln auf, als wären sie voller Schnee, und redete Unsinn über Eulen und gurrende Tauben. Aber ich wusste, was ich gehört hatte. Und richtig - ganz hinten in einer leeren Box saß eine sehr verängstigte junge Frau mit einem Säugling, den sie an ihre Brust drückte. 'Da ist Ihre Turteltaube, Mister ' 'Galloway. Neal Galloway. Verzeihen Sie, dass ich an Ihren Worten gezweifelt habe, Miss De Witt.' 'Mein Name ist Van Buren. Meine Großtante ist Mrs De Witt.' 'Gut, in Ordnung. Ich kümmere mich um das Mädchen und das Kleine, Miss Van Buren. Sie brauchen sich keine Gedanken mehr zu machen.' Ich ignorierte ihn und ging auf die junge Frau zu. 'Wie heißen Sie?', fragte ich. Sie antwortete nicht, sondern blickte stattdessen zu Mr Galloway auf, so als wartete sie auf Anweisung von ihm. Da wusste ich, dass er keineswegs überrascht war, Mutter und Kind im Kutschhaus zu finden. 'Gehören die beiden zu Ihnen, Mr Galloway?', fragte ich ihn direkt. 'Nicht so, wie Sie denken, Miss. Die Kleine ist meine Nichte und ihre Mutter ist die Frau von meinem Bruder Gavin.' 'Und was machen die beiden im Kutschhaus meiner Tante?' Er kratzte sich am Kopf und setzte sich dann die Mütze wieder auf, so al...