Beschreibung
'Ich habe ständig das Bedürfnis, nach dem Mond zu sehen.' Als Meikel seinen Freund Eddi auf dessen bizarre Jagd nach Meteoriten im Berliner Umland begleitet, hat er eine böse Vorahnung: Es wäre nicht das erste Mal, dass Eddi mit seinem Geschwätz Meikels Leben aus den Angeln hebt. Dass dies erst der Anfang einer Kette von unvorhersehbaren Ereignissen ist, die die Grenzen zwischen ganzen Welten neu ausloten, hätte Meikel aber auch nicht gedacht. Auf seiner Reise kann er sich nie sicher sein, von wo die größte Gefahr ausgeht: seiner Drogensucht, den Gespenstern im ehemaligen Szene-Club oder doch von den profitgierigen Mitgliedern der Zahnärztekammer. Sven Pfizenmaiers Humor und seine genauen Beobachtungen schlagen so spektakulär und überraschend ein wie Meteoriten auf der Erde. Zusehends fragt man sich: Wer erzählt hier die Geschichte? Und wer ist tatsächlich der Schwätzer?
Autorenportrait
Sven Pfizenmaier wurde 1991 geboren. Sein Roman 'Draußen feiern die Leute' wurde mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste Debüt des Jahres, dem Kranichsteiner Literaturförderpreis des Deutschen Literaturfonds und dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Hannover ausgezeichnet. Sven Pfizenmaier lebt in Berlin.
Leseprobe
1 Am Himmel über Neukölln sind die Sterne unsichtbar. Eine Kuppel aus Milch verschleiert den Glanz der Meteore, die auf dem Weg zu ihrem Ende hier vorübersegeln. Für die Straßen spielt der Weltraum keine Rolle, das Auge Galileo Galileis schiebt sich durch den Flaschenhals in den Schaum des Bieres. Jemand nimmt einen Schluck daraus, schaut zum Wettbüro. Dort steht ein Mann im Hemd und wischt sich die Tränen von der Wange. Hoch über ihm, im Dachgeschoss der Mall, werden Gespräche an der Hantelbank geführt. Ein Ratschlag für die Muskeln, vier Silben für das Herz. Der Zapfhahn spuckt Magnesium. come on Baby, leg was zwischen die Tür damit ich später noch zu dir kann damit du damit du nicht damit du nicht weinst und dein Kissen schon ganz nass ist weil du es nicht schaffst zu sagen, du magst es nicht wenn du abends ganz allein bist Sie wollen zärtlich sein und halten sich die Hände, verängstigt von der Dunkelheit, die sich ihnen aus den Seitenstraßen entgegendrückt und in deren Schutz man hier Hakenkreuze an Schawarmaläden geschmiert und Scheiben von Baklavabäckereien eingeworfen hat, wo man Israelflaggen in Brand gesetzt und schwule Pärchen angespuckt hat, wo sich jetzt aktuell aber nichts befindet außer dem Konsum, zwei Süchtige fragen nach Kleingeld, ein paar andere stoßen ihre Weinschorlefläschchen aneinander, jemand raucht, jemand steigt ins Kokstaxi. Die Bar an der Ecke wird von einem Mistkäfer betreten, seine Panzerung schimmert grünlich, als er an den Kickertischen vorbeigeht und sich auf den einzigen freien Hocker am Tresen setzt. Die Bedienung fragt nicht mehr nach, stellt ihm schweigend einen Darkn Stormy vor die Fühler. Er schämt sich, weil er sich wieder einmal eingeredet hat, nur diesen einen Drink zu nehmen, und da musste er natürlich an The Lost Weekend denken, wo Ray Milland auch nur diesen einen Drink haben will und gesagt bekommt: 'Wont you ever learn, its like stepping off a roof and expecting to fall just one floor.' Und so fiel er, wortlos dem Durst ergeben, von einem Glas ins andere, bis er von der letzten Erkenntnis für diesen Abend in die Bewusstlosigkeit verabschiedet wird, der Erkenntnis, alles falsch gemacht zu haben. Auch für diese tropische Nacht hat man Unwetter angekündigt, und auch in dieser Nacht kommen sie nicht. Glitch im Gesicht doch fühlen tun wir einfach nichts gib mir den Kick, und ich sage das reicht noch nicht Am Morgen die Hitze. Die Sonne, der Thron. Prahlerei. Am Straßenrand stehen runde, mit Wasser befüllte Boxen, in denen sich mal ein halbes Kilo Haribo befand. Jetzt entwachsen dem Plastik Eidechsen, sie tippeln über den Asphalt und verschwinden in Smogwolken. Der Mann, der am U-Bahn-Eingang Flyer verteilt, bekommt nicht mal ein 'Nein danke' zu hören, wortlos gehen die Menschen an ihm vorbei, und wortlos hält er sie hin, die Ausrufungen von Schlussverkäufen, die Megadeals, die einmaligen Probierwochen und Limited Editions. und die Sonne strahlt mich an nicht rund, nicht gelb und die Menschen weinen schnell nicht in echt, und nur für Geld und ich hab geträumt in vier zu drei Jemand brät sich ein Spiegelei auf der Motorhaube seines 5er BMWs, 'Vorteil schwarzes Auto', sagt er und schnipst seine Zigarette gegen einen pinkfarbenen Schwimmring mit Einhornkopf, der sich daraufhin in Abermillionen Teile zerstäubt und in der Kanalisation versickert. Ratten, Maden, Tauben. Flötenspieler drängen sich auf dem Bürgersteig, ihre schiefen Melodien brechen über Balkone in Schlafzimmer ein, hier hat es viel zu lange keinen Sex gegeben, lieblos liegen die Körper auf dem Boden, ihr Brusthaar entstellt in einer Flut von Sojasoße. Sektkorken, Ventilator, wabernder Asphalt. Niemand nass rasiert, stoppelige Gesichter und Rauschebart, Dönergeruch, niemand isst. Kippen, Bier, Schatten. Oben im Parkhaus bröckeln Schwäne aus dem Putz, rissige Narben, und fliegen dem Bordstein entgegen, wo es sich gut sitzen lässt, einfach nur das, sitzen. Augenringe. Jemand sagt: 'Ich brauche Geld', und jemand anderes hat keines. Als sie sich von ihren Träumen erzählen, riechen sie den Schweiß der anderen. Mitten im blauen wolkenlosen Himmel steckt der Vollmond wie ein Loch im Karton, durch das die Küken atmen können.