Beschreibung
Die kleine Lynn ist spurlos verschwunden. Die gesamte Nachbarschaft begibt sich auf die Suche nach dem Mädchen. Als der Verdacht sich erhärtet, dass Lynn einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist, herrscht gegenseitiges Misstrauen, die scheinbar heile Welt der kleinen Gemeinschaft gerät ins Wanken. Wer hat das Mädchen zuletzt gesehen, und warum versteckt der Nachbar Mauritz einen Handschuh, der möglicherweise Lynn gehört? Ein subtiler Psychothriller, der von Lars von Trier inszeniert sein könnte!
Autorenportrait
Inger Frimansson ist eine der bekanntesten Autorinnen Schwedens. "Die Handpuppe" ist das fünfte Buch von ihr, das in deutscher Übersetzung erscheint. Ihr erstes, "Gute Nacht, mein Geliebter" bedeutete sofort den Durchbruch für sie. Es wurde ausgezeichnet mit dem Schwedischen Krimipreis und begründete ihren Ruhm als "schwedische" Minette Walters.
Leseprobe
Das Mädchen verschwand an einem Freitag. Es war Anfang Februar, ein schneeloser, feuchter Tag, der sich von anderen Tagen in diesem Winter nicht sehr unterschied. Er war nicht zu Hause gewesen; in seinem Kreuz saß ein bohrender Schmerz, der seltsamerweise schlimmer wurde, wenn er sich ausruhte. Er stand vor dem Kleiderschrank im Schlafzimmer und hatte allerlei Kleidungsstücke auf den Teppichboden gezerrt. Er stand in der Unterhose da und hatte sich soeben die Cordhose vom Leib gerissen, da der Knopf das Knopfloch nicht mehr erreichen konnte. Das verblüffte ihn, und es machte ihn wahnsinnig wütend. Er hatte diese Hose zuletzt im Herbst getragen. Er warf einen vorsichtigen Blick auf seinen Bauch und die kurzen, kräftigen Oberschenkel und hob dann den Arm, um die Kleidungsstücke zu durchsuchen, die in schrägen, zerknitterten Reihen auf ihren Kleiderbügeln hingen. Dann ging die Türklingel. Drei kurze Signale und ein Schlurfen da draußen, als suche irgendwer Streit. Sofort sah er das Mädchen vor sich. Er ging einige Schritte in Richtung von Susannes Zimmer, ein kalter, feuchter und ungemütlicher Raum. Das Zimmer wurde seit dem Auszug der Tochter nicht mehr benutzt. Sie hatten ihre überflüssigen Möbel dort abgestellt, und auf die Fensterbank hatte Marie-Louise Topfblumen zum Überwintern gesetzt. Er zog die Tür hinter sich zu, als ob ihn das unsichtbar machen könnte, und schaute durch das Rollo. Er konnte keinen Menschen sehen, aber irgendwer stand auf der Treppe, er hörte, wie Füße sich bewegten. Es waren keine Kinderfüße. Er öffnete das Fenster einen Spaltbreit und rief etwas durch die schmale Öffnung. Die kalte Luft strömte in seinen Mund und seine Nase. Draußen stand Liv, die Mutter des Mädchens. Mit straff nach hinten gekämmten Haaren, schwarzen Leggings und einer Jacke mit Pelzbesatz. Ihr bleiches Gesicht war nach oben gedreht, er sah ihre Zähne. 'Bist du das, Mauritz?' 'Jaaa?' 'Ich wollte nur fragen, ob du Lynn gesehen hast.' Er schüttelte den Kopf. 'Sie wollte nur kurz nach draußen ... während ich einkaufen war ... und jetzt ist sie verschwunden.' 'Sie ist sicher irgendwo in der Nähe ...' Er überlegte, dass er sie eigentlich ins Haus bitten müsste, wusste aber in der Eile nicht, was er anziehen sollte. 'Bestimmt ist sie bald wieder da!', rief er vage nach unten. Sie trat einige Schritte zurück, blieb stehen und schaute zu ihm hoch. Ihre Jacke stand offen. Sie trug einen langen, knallgrünen Pullover, der ihr bis über die halben Oberschenkel reichte. Sie breitete immer wieder die Arme aus, wie um sich selbst tröstend zu umarmen. 'Hast du sie wirklich nicht gesehen? Du warst doch den ganzen Tag zu Hause?' Er verspürte einen brennenden Zorn, überwachte sie ihn etwa? Aber er sagte nichts. 'Wie spät ist es jetzt, ach, jetzt ist sie schon seit mehreren Stunden verschwunden.' 'Ich komme!' Er schloss das Fenster und ging ins Badezimmer. Dort klappte er den Deckel hoch und pisste, lange und hart. Zog dann seinen Morgenrock an und ging nach unten. Er sah die Treppenstufen unter sich und stellte fest, dass sie abgenutzt aussahen. Sie stand auf der Treppe. Sie hatte sich die Haare zu einem Knoten gesteckt und die Augen mit Kajal umrahmt. Als sie in die Diele trat, nahm er ihren säuerlichen Mundgeruch wahr. Ihre Blicke eilten wachsam hin und her, als rechne sie damit, das Mädchen hinter einem Sofa oder unter einem Tisch zu finden. 'Ist Marie-Louise bei der Arbeit?' 'Yes!' 'Und du?' 'Tatsache ist, ich bin krankgeschrieben. Mein Rücken.' 'Aaach, hab ich dich aus dem Bett geholt?' 'Nicht direkt', murmelte er. Sie packte seinen Arm, und ihre Hand war warm und geschmeidig. 'Was soll ich machen, Mauritz? Ich habe sie überall gesucht.' 'Sie taucht schon wieder auf', sagte er und wollte einen Schritt zurücktreten, aber das ging ja nicht, denn dazu müsste er sich aus ihrem Griff losreißen. 'Ich muss auch bald lo ...