0

Die Liebermann-Papiere

Kriminalroman, btb-TB

Erschienen am 04.08.2008
Auch erhältlich als:
9,00 €
(inkl. MwSt.)

Nicht lieferbar

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442737710
Sprache: Deutsch
Umfang: 512 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 18.8 x 12 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Mord, Dekadenz und Geisterbeschwörung: ein Krimi aus dem Wien der Jahrhundertwende Wien, Anfang des 19. Jahrhunderts. Der Tod des jungen Mediums Charlotte Löwenstein gibt Rätsel auf. Es finden sich keine Spuren von Gewalteinwirkung, ein Abschiedsbrief deutet auf Selbstmord hin. Der Polizist Rheinhardt glaubt weder daran noch an übersinnliche Kräfte und bittet den jungen Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann um Hilfe. Der ist bekannt für seinen kühlen Verstand. Und für seine unkonventionellen Methoden ...

Leseprobe

Es war der Tag des großen Unwetters. Ich erinnere mich noch gut, weil mein Vater - Mendel Liebermann - vorgeschlagen hatte, im Hotel Imperial einen Kaffee zu trinken. Ich hegte den Verdacht, dass er etwas auf dem Herzen hatte...

Ein bedrohlicher schwarzer Wolkenberg türmte sich gleich einem Vulkanausbruch aus schwefligem Rauch und Asche hinter der Oper auf. Sein Umfang ließ auf den herannahenden Weltuntergang schließen, auf eine Katastrophe von pompejischem Ausmaß. In dem seltsam bernsteinfarbenen Licht wirkten die Gebäude gelbsüchtig. Die Statuen auf den Simsen des Opernhauses - Figuren der klassischen Mythologie - wirkten wie aus Schwefel gemacht. Ein Blitz ergoss sich über den Wolkenberg wie geschmolzenes Eisen. Die Erde bebte, und die Luft geriet böig in Bewegung, aber noch immer regnete es nicht. Das kommende Unwetter schien sich aufzusparen und Kräfte zu sammeln für einen apokalyptischen Wolkenbruch.
Das Bimmeln der Straßenbahnglocke riss Liebermann aus seiner Versunkenheit und verscheuchte ein paar Fiaker von den Schienen.
Als die Tram weiterrollte, sann Liebermann darüber nach, weshalb ihn sein Vater wohl sehen wollte. Nicht dass solch eine Verabredung ungewöhnlich gewesen wäre, aber die Art, und Weise mit der die Einladung ausgesprochen worden war, hatte ihn stutzig gemacht. Mendels Stimme hatte seltsam angespannt geklungen - dünn und unsicher. Seine Unbekümmertheit hatte aufgesetzt gewirkt und in Liebermann den Verdacht eines - möglicherweise unbewussten - Hintergedankens hervorgerufen. Was mochte sein Vater auf dem Herzen haben?
Die Straßenbahn drosselte im starken Verkehr des Kärntner Rings ihr Tempo, und Liebermann sprang ab, bevor sie an der Haltestelle zum Stehen kam. Er schlug den Kragen seines Astrachanmantels gegen den Wind hoch und eilte auf das Imperial zu.
Obwohl die Mittagszeit bereits vorbei war, ging es im Cafe des Hotels immer noch recht lebhaft zu. Kellner mit hoch erhobenen Serviertabletts schlängelten sich, einander ausweichend, zwischen den gut besetzten Tischen hindurch. Man unterhielt sich angeregt. Hinten im Cafe spielte ein Klavierspieler eine Mazurka von Chopin. Liebermann putzte seine beschlagenen Brillengläser mit seinem Taschentuch und hängte seinen Mantel an einen Kleiderständer.
"Ich begrüße Sie, Herr Doktor."
Liebermann erkannte die Stimme und antwortete, ohne sich umzudrehen: "Meine Verehrung, Bruno. Wie steht's?" "Bestens, gnädiger Herr, bestens."
Als sich Liebermann umdrehte, fuhr der Kellner fort: "Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Ihr Vater ist bereits da."
Bruno geleitete Liebermann durch den belebten Saal zu einem Tisch, an dem, verborgen hinter den dicht bedruckten Seiten der Wiener Zeitung, Mendel saß.
"Herr Liebermann?", sagte Bruno. Mendel faltete seine Zeitung zusammen. Er war untersetzt, trug einen imposanten Vollbart und hatte buschige Brauen. Sein finsterer Gesichtsausdruck wurde von zahlreichen Lachfältchen gemildert. Der Kellner meinte: "Ihr Herr Sohn."
"Ah, Maxim!", sagte der Alte. "Da bist du ja endlich!" Er klang leicht verärgert - als hätte man ihn warten lassen.
Nach kurzem Zögern erwiderte Liebermann: "Ich bin zu früh, Vater."
Mendel konsultierte seine Taschenuhr.
"Tatsächlich. Nimm Platz, nimm Platz. Für mich bitte noch einen Pharisäer - und du ... Max?"
"Einen Schwarzen bitte, Bruno."
Der Kellner deutete eine Verbeugung an und verschwand.
"Und", meinte Mendel, "wie geht's dir, mein Sohn?"
"Ausgezeichnet, Vater."
"Du schaust ein wenig magerer aus als sonst."
"Wirklich?"
"Ja, etwas mitgenommen."
"Das ist mir noch gar nicht aufgefallen."
"Isst du auch ordentlich?"
Liebermann lachte: "Ja, ja, ich ess sehr gut. Und wie geht's dir, Vater?" Mendel schnitt eine Grimasse.
"Na ja! Gute Tage und schlechte Tage, du weißt, wie das ist. Ich hab diesen Spezialisten konsultiert, den du mir empfohlen hast, Pintsch. Und vermutl ...

Weitere Artikel vom Autor "Tallis, Frank"

Alle Artikel anzeigen