Beschreibung
Das letzte Buch des Autors vor seinem Tod Mit seinem vielbändigen, vielstimmigen Echolot fand Walter Kempowski eine literarische Form für das kollektive Gedächtnis. Seine eigenen Tagebücher sind dagegen der literarische Ort seines individuellen Gedächtnisses und gewähren einen faszinierenden Einblick in das Seelenleben dieses neben Günter Grass und Martin Walser wohl bedeutendsten Schriftstellers der deutschen Gegenwartsliteratur. Die Aufzeichnungen aus dem Jahr 1991 brechen am 21. Dezember 1991 ab, als Kempowski einen Schlaganfall erleidet. Somnia gibt ein genaues, häufig skurriles und komisches, immer aber berührendes Abbild dieses so wichtigen Zeitabschnitts im Leben des Schriftstellers Walter Kempowski. Ausstattung: 31 s/w Abbildungen + 1 s/w Foto
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Autorenportrait
Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten "Deutschen Chronik", deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman "Tadellöser & Wolff" eröffnete und 1984 mit "Herzlich Willkommen" beschloss. Kempowskis "Deutsche Chronik" ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der "Chronik" korrespondierende zehnbändige "Echolot", für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.
Leseprobe
Januar 1991 Nartum, Di 1. Januar 1991, Neujahr, Sonne, kein knirschender Schnee Nationalfeiertag der Republik Kuba Flüchtlinge aus Mocambique landen in Finnland! Wann tauchen wohl die ersten Finnen in Mocambique auf? - Mocambique: der Schauplatz von Massenmorden an Indern, war das 1962? Damals jagten sie die Inder raus, wenn sie sie nicht gar totschlugen. Alles schon vergessen? Es gibt Fotos davon, wie die Inder, die sich wohl sehr breitgemacht hatten in dem Land, mit flatternden Burnussen vor dem schwarzen, säbelschwingenden Mob fliehen. Wenn sie die tüchtigen Inder dagelassen hätten, hätten die Mocambiquer jetzt wahrscheinlich nicht Asyl suchen müssen in Finnland. Die ganze Weltgeschichte dreht sich um den Satz: Wenn meine Tante Räder hätte. Wie die Eskimos sich wohl über die ersten europäischen Schiffbrüchigen gewundert haben! Im 19. Jahrhundert. Mit Zylinder und Uhrkette? Jetzt sind es womöglich die Eskimos, die mit Zylinderhut herumlaufen, und die weißen Pipelineforscher wie die alten Eskimos, die sich übrigens selbst ganz anders nennen. - Hübsche Schnitzereien fertigen sie an, doch meistens sollen sie betrunken sein. Aber ich will nichts gesagt haben. Ob's da auch ein Goethe-Institut gibt? Das Mozartjahr wird eingeläutet. Wie beim Pferderennen, da läuten sie doch auch? Oder ist es die letzte Runde, die mit einer Glocke angezeigt wird? Für unsereinen wird jedenfalls hinterher geläutet, mit einer hellen Totenglocke. Es gibt wohl keinen größeren Gegensatz als Mocambique und Mozart. Mit Entwicklungshilfe wird in Mocambique bereits ein philharmonisches Orchester entstanden sein. Elfenbein für Taktstöcke haben sie selbst. Mocambique: hab' nachgesehen, schwärzere Menschen gibt's nicht auf der Welt. Mit Tellern in der Lippe und Messingringen um den Hals. Was machen sie mit den Flöhen, die daruntergeraten? Wenn ein Finne mit seiner bunten Zipfelmütze so ein Kind des Urwalds heiratet, das muß lustig sein. Da kommen sie beim Tanzen sicher durcheinander. Die Finnen schliffen sich Dolche, mit denen sie nächtens Russen die Gurgel durchschnitten. Sie reden finnisch-ugrisch. Gibt es Ugrier? Ungarn sind damit gemeint. Ob die einander verstehen? Wohl nur beim Saufen. - Früher waren die Finnen mal sehr deutschfreundlich. Mannerheim trug sogar das Ritterkreuz. Der Winterkrieg gegen die Russen. Daß die Russen ihn verloren, hat Hitler ermutigt, 1941 gegen die Sowjets loszuschlagen. Diese altertümlichen Tanks. Aber die Russen haben auch gelernt aus der blamablen Niederlage. Später haben die Finnen uns dann "verraten", wofür wir ihnen die Dörfer niedergebrannt haben. Gestern nachmittag kam Hochhuth, ein Hamburger Buchhändler, der bei der Wieser-Affäre trotzig seine Schaufenster voll Kempowskis gestellt hatte. Er wollte mir jetzt ein häßliches Gemälde mit einer Weintraube drauf verkaufen, irgendwie ein Samariter-Akt zugunsten eines Jungfilmers namens Karol Schneeweiß, den er mitbrachte, blond wie sein Name. Wir aßen Fondue und redeten bis weit nach Mitternacht über seine Filmversion der "Hundstage". Sahen auch seinen Film (Rohschnitt) über Burkhard Driest, mit dem ich zweierlei gemeinsam habe: Erstens, er hat gesessen, und zweitens, er ist aus Göttingen. Die Frauen stehen auf ihn, wegen seiner Akne, von welcher ich keine Spuren aufweise. Soll ich "leider" sagen? Heute früh ließ ich's ruhig angehen. Schrieb etwas und nachmittags langer Spaziergang mit Hildegard, dann wieder geschrieben und Klavier. Die Schumannsche "Träumerei" soll man jetzt rasend schnell spielen, mit einem Affenzahn. Ich spielte sie weder langsam noch schnell, ich spielte sie gar nicht. "Glückes genug" neulich im Radio, so schnell, daß ich's nicht erkannte. Ich dachte: Was spielen die denn da? Und dabei hat meine Mutter es früher doch jeden Tag vom Stapel gelassen und immer mit so viel Gefühl. Gegen Abend kam Tanja. Gespräch über bessere "Vermarktung" meiner Bücher. Will sie's in die Hand nehmen? Dann zwei Seminarteilnehmer, vorzeitig. Sie beteiligten sich an Leseprobe
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