Autorenportrait
Ronald Reng, geboren 1970 in Frankfurt, lebt als Sportreporter und Schriftsteller in München. Seine Biografie über den verstorbenen Torwart Robert Enke stand zehn Wochen unter den Top 5 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde von der Kritik hoch gelobt. Sein zuletzt erschienenes Buch 'Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga' erhielt den 'NDR Kultur Sachbuchpreis 2013' und wurde als 'Fußball-Buch des Jahres 2013' ausgezeichnet.
Leseprobe
'Höher.' 'Guten Tag. Hier ist Ronald Reng. Sie hatten versucht, mich anzurufen.' 'Herr Reng. Danke, dass Sie zurückrufen. Herr Reng, ich muss Sie treffen.' 'Worum geht es denn?' 'Das kann ich Ihnen nicht am Telefon sagen.' 'Ach so.' 'Sie wissen schon, wer ich bin?' 'Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht ganz .' 'Heinz Höher.' 'Ach, dann kenne ich Sie natürlich: der ehemalige Trainer des VfL Bochum und des 1. FC Nürnberg.' 'Entschuldigung, vielleicht hätte ich mich erst einmal richtig vorstellen sollen.' 'Keine Ursache. Aber wie Sie wissen, lebe ich in Barcelona. Das ist von Nürnberg nicht der nächste Weg. Ich bin ja gelegentlich in Deutschland, vielleicht melde ich mich dann einfach einmal?' 'Ich weiß nicht.' 'Ich denke, es ist das Vernünftigste.' 'Ja, das Vernünftigste.' Eine Stunde später: 'Hallo.' 'Herr Reng, hier ist Höher.' 'Herr Höher?' 'Herr Reng, ich habe jetzt einen Flug nach Barcelona gebucht. Ich komme diesen Donnerstag.' 'Diesen Donnerstag!' 'Und bleibe bis Dienstag.' 'Bis Dienstag!' 'Bitte, geben Sie mir nur ein paar Stunden Ihrer Zeit. Ich möchte Ihnen etwas erzählen. Ich muss Ihnen das erzählen.' 15. Februar 1976 Glatteis im Strafraum Gegen zehn Uhr am Abend sagt Heinz Höher zu seiner Frau, die schon daran gewöhnt ist, dass er seine Handlungen selten erklärt, er gehe noch mal kurz raus. Es hat null Grad in Bochum. Schnee- und Eisreste, von den Räumdiensten tagsüber mit 180 Tonnen Salz und Sand bekämpft, gefrieren wieder. In der vergangenen Nacht verunglückten 65 Autofahrer. In der Dorstener Straße schlitterte ein 18-Jähriger mit seinem Wagen geradeaus in einen Laternenpfahl, in Stiepel schleuderte ein 20-jähriger Fahrer, wie vom Katapult geschossen, gegen eine Garagenwand. Heinz Höher schließt die Fahrertür seines silbernen 190er Mercedes auf. In den umliegenden Wohnungen leuchten hier und dort noch die Fernseher, obwohl die Übertragung der Schlussfeier der Olympischen Winterspiele von Innsbruck vorüber ist. Ein Österreicher hat am Nachmittag beim Skispringen von der Großschanze eine der letzten Goldmedaillen gewonnen, Heinz Höher hat sich den Namen nicht gemerkt, obwohl er das Springen gesehen hat. In nicht einmal 15 Minuten erreicht er trotz der widrigen Straßenverhältnisse das Stadion an der Castroper Straße. Auto fährt er nach seinen eigenen Regeln. Niemals als Erster an einer roten Ampel zu stehen ist sein großer Ehrgeiz. Es geht ihm nicht darum zu rasen, sondern sich mit selbst gestellten Aufgaben die Zeit im Auto zu vertreiben. Einmal hat er auf der Autobahn versucht, permanent 150 km/h zu fahren, nicht im Schnitt, sondern durchweg, von Fürth bis Bochum, 440 Kilometer lang. Seine Helfer sind pünktlich am dunklen Stadion, August Liese und Erwin Höffken, die als Obmänner vom neuen Stürmer bis zur Kiste Bier alles für die Profielf des VfL Bochum organisieren. Sie brauchen kein Licht im Stadion. Der Schnee, der den Fußballplatz noch geschlossen bedeckt, erhellt die Nacht. In zwei Tagen, am Dienstagabend um halb acht, soll hier der VfL gegen Schalke 04 in der Bundesliga spielen. Heinz Höher, im vierten Jahr Trainer des VfL, hat seine Mannschaft gewissenhaft auf die Partie vorbereitet. Nun wird er dafür sorgen, dass das Spiel gar nicht stattfindet. Liese und Höffken wissen, wo der Platzwart, der alte Rickenberg, ein paar Eimer aufbewahrt. Sie füllen sie in den Duschen mit Wasser. Es gibt nur einen Duschraum im Stadion, nach dem Spiel müssen die Mannschaften zusammen duschen, Sieger und Verlierer, Treter und Getretene, wo gibt es das noch in der Bundesliga? Gibt es das überhaupt noch irgendwo in der Bezirksliga, im Jahr 1976? Zu dritt schleppen sie die Eimer auf den Fußballplatz. Die Kälte beißt in die Hände. Heinz Höher glaubt, der Metallhenkel des Eimers friere an seinen Fingern fest. Es muss doch kälter als null Grad sein. Sie fangen am rechten Strafraum an. Heinz Höher hat keinen detaillierten Plan. Er hatte einfach gedacht, sie würden das Spielfeld vereisen. Aber nu