Beschreibung
Was weiß die Wissensgesellschaft? Wer wird Millionär? Wirklich derjenige, der am meisten weiß? Wissen und Bildung sind, so heißt es, die wichtigsten Ressourcen des rohstoffarmen Europa. Debatten um mangelnde Qualität von Schulen und Studienbedingungen - Stichwort Pisa! - haben dennoch heute die Titelseiten erobert. In seinem hochaktuellen Buch entlarvt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann vieles, was unter dem Titel Wissensgesellschaft propagiert wird, als rhetorische Geste: Weniger um die Idee von Bildung gehe es dabei, als um handfeste politische und ökonomische Interessen. Eine fesselnde Streitschrift wider den Ungeist der Zeit.
Autorenportrait
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Leseprobe
1. Wer wird Millionär oder: Alles, was man wissen muß Die in Deutschland von einem Privatsender ausgestrahlte Quizshow Wer wird Millionär, die in Österreich unter dem Titel Millionenshow vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendet wird, gehört seit Jahren zu den beliebtesten und erfolgreichsten Formaten dieser Art. Neben dem Erfolg von Dietrich Schwanitz' Sachbuch-Bestseller Bildung. Alles, was man wissen muß und den Harry-Potter-Romanen von Joanne K. Rowling gehören diese Shows für viele Kulturoptimisten zu jenen Indizien, die zeigen, daß die Bildungs- und Leselust der Menschen ungebrochen ist. Daß sich immer wieder und immer noch Menschen finden, die sich - durch das Studium von Lexika und einschlägigen Handbüchern mehr oder weniger gut vorbereitet - vor einem Millionenpublikum einem Wissenstest stellen, ist in der Tat bemerkenswert. Verantwortlich dafür mag nicht nur die Aussicht auf den Gewinn sein, auch nicht nur die Simulation einer Prüfungssituation, deren Beobachtung immer schon mit beträchtlichem Lustgewinn verbunden war, sondern auch die Sache selbst, um die es geht: das Wissen. Genau in diesem Punkt demonstriert diese Show, kulturindustrielles Produkt par excellence, einiges davon, wie es um das Wissen in der Wissensgesellschaft bestellt ist. Die Konstruktion der Show ist denkbar einfach. Einem Kandidaten, der es nach verschiedenen Vorauswahlverfahren bis ins Zentrum des Geschehens geschafft hat, werden bis zu fünfzehn Fragen gestellt, deren Schwierigkeitsgrad mit dem für die richtigen Antworten ausgesetzten Preisgeld steigt. Im Gegensatz zur herrschenden Ideologie der Vernetzung wird in dieser Show einzig nach einem punktuellen Wissen gefragt. Die aus Multiple-choice-Verfahren bekannten vorgegebenen Antworten, aus denen eine auszuwählen ist, ermöglichen nicht nur eine rasche und unmittelbare Reaktion, sondern zeigen auch in nuce, wo die Grenzen zwischen Raten, Vermuten, Wissen und Bildung verlaufen. Dort, wo Kandidaten ihre Wahl mit Formeln wie 'Das kommt mir bekannt vor' oder 'Davon habe ich schon einmal gehört' begründen, triumphiert das Bekannte über das Gewußte, dort, wo mit Wahrscheinlichem oder Plausibilitäten gearbeitet wird, regieren Ahnungen und dunkle Erinnerungen, und wenn jemand tatsächlich etwas weiß, wird als Begründung für die Wahl der Antwort dann auch folgerichtig gesagt: Das weiß ich. Ein Hauch von Bildung schleicht sich schließlich dann ein, wenn es einem Kandidaten gelingt, aufgrund seiner Kenntnisse etwa des Lateinischen oder gar Griechischen die Bedeutung von ihm an sich nicht geläufigen Fachausdrücken zu erschließen. Die Show, und das mag ihre Attraktivität mitbedingen, simuliert so Bewegungen im Wissensraum, die jeder kennt und nachvollziehen kann: Nur sehr wenig haben wir verstanden, einiges wissen wir, manches kann vermutet werden, das meiste ist uns aber nicht geläufig und kann höchstens erraten werden. So, wie sich das Wissen in der Abfolge von Fragen aus den unterschiedlichsten Gegenstandsbereichen präsentiert, erscheint es allerdings völlig zusammenhanglos und zufällig. Von der Geographie zur Popkultur, von der Literatur zur Botanik, von der Chemie zur Filmmusik, von der Kochkunst zur Oper, vom Sprichwort zur Historie: Alles ist möglich. Die Kontingenz ist das einzige Prinzip, das die Fülle der Informationen und Bedeutungen, die in einer Show in rascher Folge abgefragt werden, zusammenhält, der Zufallsgenerator spielt eine entscheidende Rolle, Menschenwerk ist offensichtlich nur die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades, den man den Fragen zuweist. Solche Kontingenz allerdings spiegelt eine zentrale Erfahrung wider, die Menschen in der Informationsgesellschaft machen müssen: die Gleichgültigkeit des gleich Gültigen. Auch wer im digitalen Datenozean nach Informationen fischt, wird auf Anhieb nie wissen, ob das, was die Suchmaschine ausspeit, in einem sinnvollen Zusammenhang zu einer Frage steht. Recherchen im Internet zeitigen in einem ersten Schritt immer zufallsbedingte Er Leseprobe