Beschreibung
'Traue nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast!' Dieser Satz ist in unserer Informationsgesellschaft so wichtig wie nie zuvor. Statistikprofessor Walter Krämer präsentiert die kreativen Praktiken bei der Aufbereitung von Daten. Er entlarvt die Illusion der Präzision, zeigt, wie Piktogramme frisiert, Kurven geschönt, Stichproben vorsortiert, Tests gefälscht, Superlative gebildet und Mittelwerte manipuliert werden. Der verständliche, witzige und scharfsinnige, für Laien und Fachleute gleichermaßen nützliche Klassiker - jetzt in neu gestalteter und aktualisierter Neuausgabe!
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Autorenportrait
Walter Krämer, Statistiker, ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund und Autor verschiedener Bestseller, zuletzt gemeinsam mit Thomas Bauer und Gerd Gigerenzer: 'Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet' (Campus 2014).
Leseprobe
Man hat behauptet, die Welt werde durch Zahlen regiert: das aber weiß ich, dass die Zahlen uns belehren, ob sie gut oder schlecht regiert werde. Johann Wolfgang von Goethe, Gespräche mit Eckermann Vorwort zur Neuausgabe Kann man einem Autor eine größere Freude machen, als ihn 25 Jahre nach Erscheinen seines Buches zu einem neuen Vorwort aufzufordern? Schließlich heißt das ja: Das Buch wird immer noch gekauft. Und das hätte ich damals, im Sommer 1990, als ich es auf einer abgelegenen alten Farm im englischen Devonshire geschrieben habe, tatsächlich nicht gedacht. Inzwischen ist es zu einem Klassiker mit mehreren Dutzend Auflagen und Übersetzungen ins Italienische, Koreanische und Chinesische geworden. Das ist für mich als Autor angenehm, für mich als Statistiker sowohl gut wie schlecht. Gut, weil das bedeutet: Die Menschen sind an dem Thema interessiert. Schlecht, weil das Thema immer noch ein Thema ist. Verglichen mit 1990 scheinen zwar gewisse Arten von Missbrauch und Schlampereien in den letzten Jahren an Verbreitung eingebüßt zu haben - Datengrafiken mit abgeschnittenen Füßen und selektiv gestauchten Achsen wie in dem Kapitel "Vorsicht, Kurve!" etwa sieht man heute weniger, hier haben die Journalisten, die Hauptlieferanten meiner Beispiele, einiges dazugelernt. Dafür schleichen sich andere Arten des Missbrauchs ein. Von der brutalen Fälschung ganzer Staatsbilanzen à la Griechenland will ich dabei gar nicht reden (das hat übrigens die alte DDR mindestens genauso gut gekonnt, siehe weiter unten in Kapitel 17). Auf einer Ebene tiefer, aber mit langfristig genauso fatalen Folgen werden auch die Sünden im Umgang mit Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten immer schlimmer, und auch der korrekte Umgang mit Prozenten scheint unserer Spezies so fremd wie eh und je. Ich glaube inzwischen, dass viele dieser Fehler eine Folge - nicht fehlender Intelligenz, sondern der internen Verdrahtung unseres Gehirns sind, quasi das genetische Erbe, das wir von den Affen Afrikas in das dritte Jahrtausend hineingetragen haben. Wie der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Weltbestseller Schnelles Denken langsames Denken versucht hat nachzuweisen, ist dieser von den Affen ererbte und von ihm System 1 genannte Teil unseres Gehirns ein notorisch schlechter Statistiker. Es kann sehr gut addieren und Summen vergleichen, aber es kann keine Durchschnitte bilden, nicht multiplizieren und nicht dividieren (und erst recht natürlich keine Wurzeln ziehen oder Logarithmen ausrechnen). Und da ein Großteil unseres Denkens - das schnelle Denken - nahezu automatisch und ohne unser Zutun mittels System 1 geschieht, machen wir ebenso automatisch immer Fehler, wenn wir statt zu addieren hätten multiplizieren müssen. Und viele statistische Trugschlüsse sind genau von dieser Art. Diese Fehlerquelle ist allenfalls genetisch, d. h. in 100 000 Jahren, und nicht mit Büchern wie diesem auszumerzen. Was dieses Buch aber versucht, ist ein Appell an das von Kahneman so genannte System 2, das ist der Teil unseres Gehirns (das langsame Denken), der nur mit willentlicher Anstrengung funktioniert und Mühe macht, der eigentliche Denker sozusagen. Deswegen schalten wir diesen Teil nur ein, wenn wir glauben, dass es sich lohnt. Und dieses Buch will zeigen: Ja es lohnt sich, es will seine Leser animieren, beim Umgang mit Statistik öfter als vielleicht bisher den eigentlichen Denker zu benutzen, in der Hoffnung, dass ganz im Sinn des bekannten deutschen Statistikers Ernst Wagemann über das Falsche das Richtige dann doch ans Tageslicht gelangt: "Es hat sich die alte Erfahrung bewährt", schreibt Wagemann in seinem Narrenspiegel der Statistik (1935), "dass das Wesen der Dinge unserem Verständnis am besten durch die Betrachtung ihrer Kehrseite erschlossen wird." Von dieser Kehrseite sehen Sie auf den folgenden Seiten genug. Vielleicht macht das auch ein wenig neugierig auf die Vorderseite? Walter Krämer Dortmund, im Sommer 2015 Vorwort "Get your facts first, and then you can distort 'em as you please." Mark Twain Wir schlagen morgens unsere Zeitung auf - und ehe das letzte Blatt gewendet ist, haben wir mehr Statistiken gesehen als Goethe oder Schiller während ihres ganzen Lebens. Die Arbeitslosen werden je nach Quelle weniger oder mehr, die Krebsgefahr und das Ozonloch nehmen zu, ein Drittel aller Menschen lebt unter dem Existenzminimum, ein Bundesbürger verzehrt im Jahr 8 Liter Speiseeis, Musiker leben länger als andere, Landluft ist gesund, Landluft ist ungesund, im Jahr 2050 gibt es 10 Milliarden Menschen auf der Welt, der Dow-Jones-Index hat 30 Punkte zugelegt, Tennisspieler B hat noch nie gegen einen brilletragenden Linkshänder verloren, der jünger war als er selbst, 25 Prozent mehr Frauen als Männer biegen falsch in Einbahnstraßen ein, die Dinosaurier starben vor 65 Millionen Jahren aus, von Schweinefleisch bekommt man Herzinfarkt, Ausländer sind kriminell, Wähler der Grünen dagegen häufig impotent (kein Scherz - dies erklärte ein Hamburger Sexualforscher tatsächlich vor dem Deutschen Bundestag), in New York schläft man am sichersten im Central Park, noch 30 Jahre trennen uns vom nächsten GAU, eine Klimakatastrophe droht, und wäre am nächsten Sonntag Wahl, käme Partei X nicht in den Bundestag. Viele dieser Statistiken sind falsch. Einige sind bewusst manipuliert, andere nur unpassend ausgesucht. In einigen sind schon die reinen Zahlen falsch, in anderen sind Zahlen nur irreführend dargestellt. Dann wieder werden Äpfel und Birnen zusammengeworfen, Fragen suggestiv gestellt, Trends fahrlässig fortgeschrieben, Raten, Quoten oder Mittelwerte kunstwidrig berechnet, Wahrscheinlichkeiten vergewaltigt oder Stichproben verzerrt, sodass Lüge und Statistik für viele zusammengehören wie Pat und Patachon. Seit Benjamin Disraelis "There are three kinds of lies: lies, damned lies, and statistics" hageln die einschlägigen Bonmots auf die armen Statistiker nur so herab. Diese Verunglimpfungen sind zwar billig, aber in gewissem Sinn wahr. Billig, weil sich jedes Werkzeug sowohl ge- als auch missbrauchen lässt. Hier steht die Statistik sicher nicht allein. Wahr, weil wir alle nur zu gern die Welt so sehen, wie wir sie gern hätten, statt so, wie sie wirklich ist. Wir benutzen die Statistik nur zu oft "wie ein Betrunkener einen Laternenpfahl: vor allem zur Stütze unseres Standpunkts und weniger zum Beleuchten eines Sachverhalts" (Andrew Lang). Dieses Buch fasst meine einschlägigen Erfahrungen aus vielen Berufsjahren als Statistiker zusammen. Dabei predige ich nicht (jedenfalls nicht mit Absicht) vom hohen Ross des professionellen Datensammlers. Die ehrliche Präsentation von Fakten ist keine Sache des Könnens, sondern des Wollens, und vor allem daran scheint es vielen Datensündern offenbar zu mangeln. Es gibt ein Gentleman's Agreement unserer Medien, dass im Dienste einer guten Sache die Wahrheit nicht so wichtig ist. So rechtfertigte das Deutsche Ärzteblatt einen Fehler in der Aids-Statistik - nämlich durch sogenanntes "Kumulieren" die aktuellen Krankenstände höher darzustellen, als sie wirklich sind - mit den Forschungsgeldern, die so leichter einzuwerben seien. "Wenn die Kumulierung zu diesem Effekt beiträgt", lesen wir dort schwarz auf weiß, "dann sollten wir es noch eine Weile dabei belassen." Dieses Reklamieren einer "License to Lie" im Dienste eines subjektiven oder objektiven guten Zwecks kennt keine Parteigrenzen; es wird von Linken wie Rechten, Progressiven wie Konservativen gleichermaßen praktiziert. Allenfalls nimmt es mit der Gewissheit zu, mit der sich der Datenkosmetiker im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt. Wer sicher weiß, dass die Welt in zwanzig Jahren untergeht, wenn nicht dieses oder jenes geschieht, fühlt sich durch Konventionen wie Faktentreue und Sachlichkeit in seinem Rettungswerk oft sehr gehemmt. "Je dramatischer wir die Sache sehen, desto besser für die Menschheit", führt etwa ein amerikanischer Klimaforsc...
Schlagzeile
Der Klassiker der Statistik-Entzauberung