Beschreibung
Aktualisierte Sonderausgabe 2018 'Es ist Zeit, sich vom Kapitalismus abzuwenden', sagt Sahra Wagenknecht. Denn der Kapitalismus ist längst nicht mehr so innovativ, wie er sich gibt. Bei der Lösung der großen Zukunftsfragen - von einer klimaverträglichen Energiewende bis zu nachhaltiger Kreislaufproduktion - kommen wir seit Jahrzehnten kaum voran. Für die Mehrheit wird das Leben nicht besser, sondern härter. Es ist Zeit für eine kreative, innovative Wirtschaft mit kleinteiligen Strukturen, mehr Wettbewerb und funktionierenden Märkten, statt eines Wirtschaftsfeudalismus, in dem Leistung immer weniger zählt, Herkunft und Erbe dagegen immer wichtiger werden. Sahra Wagenknecht fordert eine andere Verfassung des Wirtschaftseigentums, die Demokratisierung des Zugangs zu Kapital und die Entflechtung riesiger Konzerne, deren Macht fairen Wettbewerb und Demokratie zerstört. Talent und echte Leistung zu belohnen und Gründer mit guten Ideen ungeachtet ihrer Herkunft zu fördern. Mit ihrem Buch eröffnet Wagenknecht eine politische Diskussion über neue Eigentumsformen und die vergessenen Ideale der Aufklärung. Sie legt eine scharfsinnige Analyse der bestehenden Wirtschaftsordnung vor und zeigt Schritte in ein demokratisch gestaltetes Gemeinwesen, das niemandem mehr erlaubt, sich zulasten anderer zu bereichern.
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Autorenportrait
Sahra Wagenknecht ist promovierte Volkswirtin, Publizistin und Politikerin, Mitglied des Bundestags für die Partei Die Linke, für die sie auch im Europäischen Parlament saß. Von 2010 bis 2014 war sie Stellvertretende Parteivorsitzende, von 2015 bis bis 2019 Vorsitzende der Linksfraktion. Sie betreibt einen eigenen Youtube-Kanal, auf dem sie wöchentlich aktuelle Themen kommentiert und schreibt regelmäßig eine 'Focus'-Kolumne. Bei Campus sind ihre Dissertation The Limits of Choice und ihre Bücher Freiheit statt Kapitalismus (2012) und Reichtum ohne Gier (2016/2018) erschienen.
Leseprobe
Vorwort Die Zeit ist aus den Fugen: Schmach und Gram, / dass ich zur Welt, sie einzurichten, kam!, ächzt Hamlet in Shakespeares berühmter Tragödie angesichts der Zustände, die er in seinem Königreich vorfindet. Sein Einrichtungsversuch endet bekanntlich in sehr viel Blut und lädt nicht zur Nachahmung ein. Aber das sollte nicht als Mahnung gelesen werden, sich mit gesellschaftlichem Zerfall abzufinden, sondern eher, diesem auf richtige Weise zu begegnen. Hamlet will zurück in die alte Zeit. Aber die Zukunft liegt im Neuen, Noch-nicht-Dagewesenen. Ideen dafür sind an ihrer Plausibilität und Überzeugungskraft zu messen, nicht daran, ob sie in Gänze schon einmal umgesetzt wurden. Denn ist nicht auch unsere Zeit aus den Fugen? Zeigen das nicht die Nachrichten, die wir Tag für Tag hören, die Zeitungen, die wir lesen, all die News, die uns online überfluten? Im Grunde spüren wir doch, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Und wohl auch nicht wird. Die große Frage ist nur: Was kommt dann? Zivilisation auf dem Rückzug In vielen Regionen unseres Planeten ist die Zivilisation auf dem Rückzug. Kriege und Bürgerkriege haben den Nahen und Mittleren Osten und Teile Afrikas in einen lodernden Brandherd verwandelt. Staatliche Ordnungen zerfallen oder werden wie im Irak, in Libyen oder im Jemen durch militärische Interventionen zerstört. Das Machtvakuum füllen Warlords und islamistische Terrorbanden, die der Zivilbevölkerung noch mehr Armut, Willkür, religiöse Verfolgung, Morde und Grausamkeiten bringen. In nahezu jedem Krieg haben die USA, aber auch europäische Staaten ihre Hände im Spiel. Es geht um Rohstoffe und Absatzmärkte, um Profite und geostrategische Vorteile, um Pipeline-Routen und um das Kräftemessen mit dem alten Gegenspieler Russland, das sich nach seiner Wandlung vom Einparteienstaat zum Oligarchenkapitalismus zunächst von der Weltbühne verabschiedet hatte, inzwischen aber im Kampf um Einflusssphären wieder mitmischt, auch militärisch. Selbst in den Industrieländern, den Wohlstandsinseln mit ihrem vergleichsweise hohen Lebensstandard, ist das Leben für die Mehrheit in den zurückliegenden Jahrzehnten härter statt besser geworden. Finanzblasen, Jobs, von denen man nicht leben kann, Arbeitslosigkeit, sterbende Industrieregionen, verfallende Wohngettos, unterfinanzierte Schulen und Krankenhäuser, Armut im Alter, Lebensunsicherheit, mangelnder Schutz vor Kriminalität - all das überschattet den Alltag vieler Menschen und macht ihnen Angst. Hassprediger, sei es von der äußersten Rechten oder eines radikalen politischen Islam, haben auch hier Zulauf. Die politische Tektonik der westlichen Gesellschaften hat Risse bekommen. Die Wahl Donald Trumps zeugt von der abgrundtiefen Enttäuschung, der aufgestauten Wut und der Ablehnung, die beachtliche Teile der amerikanischen Bevölkerung heute dem politischen Establishment und den Institutionen ihres Landes gegenüber empfinden. Lieber ein pöbelnder unverschämter Rüpel, der politische Anstandsregeln demonstrativ mit Füßen tritt, als eine korrupte Liberale - das war die Botschaft insbesondere der Arbeiterschaft, deren existenzielle Bedürfnisse von Demokraten wie Republikanern über Jahrzehnte sträflich ignoriert worden waren. In Europa hat sich 2016 das erste Land in einem Referendum für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden. Viele Brexit- Befürworter kamen aus den alten Labour-Hochburgen in den früheren Industriestädten Englands, deren Bewohner gute Gründe haben, sich von den wechselnden Regierungen des Königreichs im Stich gelassen zu fühlen. In vielen europäischen Ländern reüssieren rechte Parteien und prägen den politischen Diskurs. In der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl 2017 erzielte der Front National das beste Ergebnis seiner Geschichte. Ungarn und Polen werden von rechten Regierungen geführt, die Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung nicht allzu ernst nehmen, was ihrer Popularität bisher keinen Abbruch tut. In Österreich ist die FPÖ, deren Anhänger in stimmungsvollen Momenten gern mal den Arm zum Hitlergruß heben, erneut an der Regierung beteiligt. Zum unschönen Erbe der Kanzlerschaft Angela Merkels gehört, dass ihre Fehlentscheidungen erstmals in der bundesdeutschen Geschichte einer Partei rechts von der CDU?/?CSU den Weg in den Bundestag gebahnt haben. Der neofeudale Konsens Dafür, dass sich immer mehr Menschen von der liberalen parlamentarischen Demokratie abwenden, gibt es Gründe. Zu lange wurde das demokratische Versprechen der Wahlfreiheit zwischen unterschiedlichen Regierungsprogrammen von den traditionellen Parteien nicht mehr eingelöst. In manchen Ländern unterschieden sich die einstigen Arbeiterparteien von ihren konservativen Konkurrenten nur noch dadurch, dass sie beim Schleifen des Sozialstaates, bei der Privatisierung öffentlicher Leistungen und der Deregulierung des Finanzsektors besonders rabiat vorgingen. Das Wahlvolk erlebte wieder und wieder, dass Regierungen wechselten, die Politik aber im Kern die gleiche blieb. Es erlebte, dass Renten gekürzt, Löhne gesenkt und öffentliche Einrichtungen kaputtgespart wurden, während sich Wirtschaftslobbyisten mit teuren Steuersenkungs- und Subventionsanliegen Gehör verschaffen konnten. Es erlebte Wahllügen, Arroganz und Korruption. Es erlebte die eigene Ohnmacht, eine Politik, die seine Chance auf ein gutes Leben beharrlich verringerte, abzuwählen. Diese Politik wird gemeinhin als neoliberal bezeichnet, obwohl sie genau besehen weder neu noch im tieferen Sinne liberal ist. Ihr Mantra lautet: mehr Markt, mehr Wettbewerb, mehr Freiheit, mehr Leistung und Eigeninitiative, mehr Wachstum. Ihre realen Ergebnisse sind: mehr Macht für globale Mammutkonzerne, weniger Wettbewerb, mehr Einkommen aus Vermögen und weniger Lohn für Arbeitsleistung, mehr Spekulation, Betrug und Gaunerei und weniger Wachstum. Wir sollten dieses politische Programm daher besser als neofeudal bezeichnen. Es hat die Welt Wenigen zu Füßen gelegt und sie für Viele zu einem unkomfortablen Ort gemacht. Heute besitzen die reichsten 1 Prozent der Weltbevölkerung mehr als alle anderen auf der Erde lebenden Menschen zusammen. Allein 42 Multimilliardäre haben mehr Vermögen als die Hälfte der Menschheit.1 In den Industrieländern explodiert der Reichtum der oberen Zehntausend, aber er zieht die Mittelschichten und erst recht die Ärmeren nicht mehr nach. Deren Lebensstandard folgt dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum nicht etwa nur langsamer, er folgt ihm überhaupt nicht mehr. Die Flut trägt nur noch die Luxusjachten Die Flut, die einst alle Boote heben sollte, trägt nur noch die Luxusjachten. Seit den achtziger Jahren sind die mittleren Löhne in den Vereinigten Staaten nicht mehr gestiegen und die unteren in den freien Fall übergegangen. Auf dem europäischen Kontinent, vor allem innerhalb des Euroraums, sieht es heute ähnlich aus. Auch hier gibt es mehr und reichere Milliardäre als vor zwanzig Jahren, sogar in den Krisenstaaten Griechenland, Spanien oder Italien, und zugleich weit mehr Menschen als früher, die in ihre Einkaufswagen nur noch Billigwaren legen, im Winter aus Geldmangel in unterkühlten Wohnungen sitzen und von Restaurantbesuchen oder Urlaubsreisen nur noch träumen können. Die Oberschicht wohnt im Penthouse, hat die Fahrstühle außer Betrieb gesetzt und die Leitern hochgezogen. Der Rest kann froh sein, wenn er wenigstens auf seiner Etage bleiben darf. Viele schaffen nicht einmal das. Nicht nur im krisengeschüttelten Südeuropa, auch im reichen Deutschland mit seiner boomenden Exportwirtschaft. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besaßen 40 Prozent, also fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung 2016 spürbar weniger Kaufkraft als Ende der neunziger Jahre. Die mittleren Einkommen sind trotz Wirtschaftswachstum und Dividendenregen seit knapp zwei Jahrzehnten nicht mehr gestiegen. Weder Fleiß und Qualifikation noch Zweit- und Drittjobs sind heute ein Garant dafür, sich und seiner Familie ein ei...