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Die Drehung der Schraube

Novelle, Manesse Bibliothek der Weltliteratur

Erschienen am 27.09.2010
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783717523307
Sprache: Deutsch
Umfang: 304 S.
Format (T/L/B): 2 x 15.5 x 9.9 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Nervenkitzel auf höchstem literarischem Niveau Mit 'The Turn of the Screw' gelang Henry James ein sprachliches wie kompositorisches Meisterwerk, ein Solitär des Thriller-Genres. Psychologisch brillant und von überragender erzählerischer Raffinesse, zieht es den Leser unaufhaltsam in seinen Bann. 'Eine absolut wunderbare, giftige kleine Horrorgeschichte.' Oscar WildeZwei engelsgleiche Zöglinge, ein märchenhaft schönes Landhaus - für eine junge Erzieherin scheint sich gleich die erste Anstellung als glückliche Wahl zu erweisen. Einzig ein Mann und eine Frau, die sich ihr mehrfach auf mysteriöse Weise zeigen, um kurz darauf wieder zu verschwinden, trüben die Unbeschwertheit und nähren ihre Zweifel: Warum wurde Miles - ein doch offenbar braver Junge - der Schule verwiesen? Weiß die kleine Flora mehr als sie zugibt? Sind Liebreiz und Unschuld der beiden Kinder nur Fassade? Und warum verweigert der Dienstherr, der charmante Onkel der Zöglinge, jede Hilfe? Dem Leser als staunendem Zeugen des Geschehens stellt sich schon bald eine ganz andere Frage: die nach der Verlässlichkeit der Erzieherin und Erzählerin der vorliegenden Geschichte.Henry James Novelle ist eines der rätselhaftesten Werke der Weltliteratur. Mit jeder neuen Wendung weckt es aufs Neue die Dämonen der Phantasie. 'Ein Buch, das mit der unerklärlichen Magie seiner Szenen den stillschweigenden Glauben an die Ordnung der Dinge zerstört', urteilt Paul Ingendaay in seinem Nachwort.

Autorenportrait

Henry James (1843-1916), in New York geborener Sohn aus wohlhabender Familie, genoss eine kosmopolitische Erziehung. 1875 ging er zunächst als Korrespondent nach Paris und zog dann nach England. Er schrieb zwanzig Romane, daneben Theaterstücke und Reiseberichte sowie über hundert Erzählungen, die ihm höchste Anerkennung eintrugen.

Leseprobe

Die Geschichte hatte uns, die wir um das Kaminfeuer versammelt waren, in einigermaßen atemloser Spannung gehalten, doch abgesehen von der naheliegenden Feststellung, sie sei gruselig gewesen, ganz so, wie es sich für eine am Weihnachtsabend in einem alten Haus erzählte merkwürdige Geschichte geziemt, kann ich mich an keinen Kommentar erinnern, der geäußert worden wäre, bis jemand bemerkte, dies sei der einzige ihm bekannte Fall, in dem ein Kind Opfer einer solchen Heimsuchung geworden sei. Dabei handelte es sich, wie ich erwähnen darf, um eine Erscheinung just in einem solch alten Haus wie dem, das uns damals beherbergte - eine Erscheinung grauenvoller Art, die sich einen kleinen Jungen aussuchte, der mit seiner Mutter in einem Zimmer schlief und diese in seinem grenzenlosen Entsetzen aufweckte; und sie erwachte nicht etwa, um seine Angst zu zerstreuen und ihn wieder in den schlaf zu wiegen, sondern wurde, noch ehe sie das vermochte, selbst dem Anblick ausgesetzt, der ihn so bestürzt hatte. Es war diese Bemerkung, die Douglas - nicht sofort, sondern im Verlauf des Abends - eine Erwiderung entlockte, welche dann die denkwürdige Folge zeitigte, auf die ich die Aufmerksamkeit lenken möchte. Jemand aus unserem Kreis erzählte eine nicht sonderlich fesselnde Geschichte, der er, wie ich merkte, gar nicht zuhörte. Darin sah ich ein Zeichen, dass er selbst etwas zum Besten zu geben hatte und dass wir nur zu warten brauchten. Tatsächlich mussten wir bis zum übernächsten Abend warten; aber noch am selben Abend, bevor wir auseinandergingen, deutete er an, was ihn beschäftigte. 'Ich räume in Hinblick auf Griffins Geist oder was immer es war durchaus ein, dass der Umstand, dass er zunächst dem kleinen Jungen erschien, einem Kind in so zartem Alter, der Geschichte einen besonderen Reiz verleiht. Aber es ist nicht die erste mir bekannte Begebenheit dieser übersinnlichen Art, von der ein Kind betroffen ist. Und wenn schon das eine Kind die Spannung in die Höhe schraubt, was sagen Sie dann erst zu zwei Kindern. 'Selbstverständlich sagen wir', rief jemand, 'dass zwei Kinder die Spannung doppelt erhöhen! Und dass wir ihre Geschichte hören wollen.' Ich sehe Douglas noch vor mir; er war aufgestanden, hatte sich mit dem Rücken zum Kaminfeuer gestellt und blickte, die Hände in den Taschen, auf den Sprecher hinunter. 'Niemand außer mir hat sie bisher gehört. Sie ist einfach zu entsetzlich.' Natürlich erhoben sich sofort mehrere Stimmen, die erklärten, dass gerade das die Sache äußerst lohnend erscheinen lasse, worauf unser Freund mit souveräner Gelassenheit seinen Triumph vorbereitete, indem er seinen Blick über uns hinweggleiten ließ und fortfuhr: 'Sie übertrifft alles. Nichts, aber auch rein gar nichts, was ich kenne, reicht an sie heran.' 'Weil sie gar so schaurig ist?', erinnere ich mich gefragt zu haben. Er schien sagen zu wollen, dass es so einfach nicht sei, schien wirklich nicht zu wissen, wie er sie charakterisieren sollte. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, verzog eine Sekunde lang das Gesicht zu einer zuckenden Grimasse. 'Weil sie so grauen, so grauenvoll ist.' 'Ach wie köstlich!', rief eine der Frauen. Douglas schenkte ihr keine Beachtung; er blickte mich an, allerdings so, als sähe er nicht mich, sondern das, wovon er sprach. 'Weil sie durch und durch unheimlich, abstoßend, entsetzlich und erschütternd ist.' 'Nun, dann setzen Sie sich und fangen Sie an zu erzählen', forderte ich ihn auf. Er drehte sich zum Feuer, trat mit dem Fuß gegen ein Holzscheit und betrachtete es einen Augenblick. Dann wandte er sich wieder uns zu. 'Das kann ich nicht. Ich muss dazu erst jemanden nach London schicken.' Dies wurde mit allgemeinem Aufstöhnen und großem Gemurre aufgenommen, worauf er in seiner gedankenverlorenen Art erklärte: 'Die Geschichte ist niedergeschrieben. Sie liegt in einer verschlossenen Schublade - seit Jahren habe ich sie nicht herausgenommen. Ich könnte meinem Diener ein paar Zeilen schreiben und ihm den Leseprobe