Beschreibung
Ausgehend von der Utopie des Roten Wien der 1920er- und 1930er-Jahre, die Wohnbaupolitik, Bildungs- und Gesundheitspolitik revolutionierte, wird Wien heute vom Kollektiv Sodom Vienna als queerfeministische und antirassistische Stadt inszeniert. Von einer künstlerischen Wahlkampagne für mehr politische Sichtbarkeit über die Verwandlung des Freud Museums ins Sodom Vienna Freudenhaus, dem spektakulären Circus Sodomelli bis hin zur Sodom Revue, die historische Persönlichkeiten aus den 1920er-Jahren in die Gegenwart holt. Initiator* Gin Müller lässt die Aktionen und den Aktionismus von Sodom Vienna gemeinsam mit der Zirkusforscherin Birgit Peter in diesem Band Revue passieren. Mit Ausflügen in die queere Geschichte des Praters, zur Alten Donau und vielem mehr.
Autorenportrait
Gin Müller ist Dramaturg*, Theaterwissenschaftler*, Performer* und Queer-Theoretiker*. Lektor* am Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaften der Universität Wien.
Leseprobe
'Plakate durchziehen die Stadt, es ist Wahlkampfzeit in Wien. Doch aus den klassischen Posterwänden mit lächelnden Politiker*innenköpfen mit zugeknöpften Hemden und markigen Sprüchen sticht eine Plakatkampagne hervor. Im Zentrum eine rote Blume - changierend zwischen Vagina und Arschloch ist sie das Logo von SODOM VIENNA. Gleichzeitig ist sie aber auch als Pendant zur berühmten roten Nelke des Roten Wien zu verstehen, das sich im Programm der neu gegründeten 'Partei' spiegelt. Denn SODOM VIENNA wirft einen queeren Blick auf die 1920er- und 1930er-Jahre und die legendären Errungenschaften des Roten Wien: die Wohnbaupolitik, die einsetzende Frauenemanzipation, die Bildungs- und Gesundheitspolitik. Jetzt, hundert Jahre später und vor der Wahl ist es nun endlich an der Zeit, die Utopie des Roten Wien wiederauferstehen zu lassen und Wien als queerfeministische und antirassistische Stadt zu inszenieren - in Anlehnung an die roten Spieler*innen und Agitprop-Gruppen von damals. Die Plakatkampagne (in deren Mittelpunkt das vier Meter große, aufblasbare, rot schimmernde Logo als symbolisches Wahrzeichen im öffentlichen Raum) ist der Auftakt der Wahlkampftour von SODOM VIENNA. In den folgenden Wochen und Monaten (siehe Spielplan im Anhang auf Seite 128f) macht das Kollektiv Station vor dem Karl-Marx-Hof (dem größten Wiener Gemeindebau), im Wohnhaus von Sigmund Freud, in den Tiefen des Praters und seinen Suburbs, an der Alten Donau, am im Arbeiter*innenbezirk Favoriten gelegenen Viktor-Adler-Markt und am Laaer Berg, dort, wo im Roten Wien mit der Monumentalfilmproduktion Sodom und Gomorrha die biblisch 'lüsterne' Parallelstadt inszeniert wurde. Gemeinsam mit anderen aktivistischen und künstlerischen Gruppen veranstaltet SODOM VIENNA an diesen Aktionsorten politische Manifestationen, rauschende Prozessionen, Revue- und Zirkusspektakel im Spirit der 1920er-Jahre.'