Beschreibung
Berlin 2002, die Stadt als Fluchtpunkt zweier Männer. Der eine, freier Journalist in Hamburg, hat sich scheiden lassen und geht einem Impuls folgend nach Berlin, zu der Frau, die er liebt. Der andere, einst DDR-Grenzer in Frankfurt an der Oder, jetzt beim Bundesgrenzschutz, verliebt sich in eine junge Frau aus der Ukraine und verhilft ihr und ihrem Bruder illegal nach Berlin. Reinhard Jirgl beschreibt die Stadt als Moloch, der die kleinen Menschen und ihre Nöte durch die Mangel dreht und kuriert - ein Großstadtroman in bester Tradition.
Produktsicherheitsverordnung
Hersteller:
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
info@hanser.de
Kolbergerstr. 22
DE 81679 München
Autorenportrait
Reinhard Jirgl, geboren 1953 in Berlin, wo er auch heute lebt. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Alfred-Döblin-Preis, den Marburger Literaturpreis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Stadtschreiber-Preis von Bergen und den Georg Büchner-Preis 2010. Bei Hanser erschienen zuletzt Abtrünnig (Roman aus der nervösen Zeit, 2006), Land und Beute (Aufsätze, 2008), Die Stille (Roman, 2009), Mutter Vater Roman (Neuausgabe, 2012), Nichts von euch auf Erden (Roman, 2013) und 2016 der Roman Oben das Feuer, unten der Berg. Mit Beginn des Jahres 2017 hat Reinhard Jirgl sich vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er verzichtet auf Lesungen sowie andere Auftritte, desgleichen auf jede Publikation seiner auch weiterhin entstehenden Manuskripte. Alle neu geschriebenen Texte verbleiben in Privatbesitz.
Leseprobe
Sie war das Nachbarskind, 2 Jahr jünger als ich, u trotzdem wars als wären wir=zusammen geboren. Im selben Kindergarten, in derselben Schule, die Nachmittage in der Woche, die Sonntage u die Ferien verbrachten wir=gemeinsam - wir blieben unzertrennlich; die-Leute sagten, bestimmt würden wir später heiraten. Und so kam es. Ich war 20 sie 18 als wir zum Standesamt gingen. Rings-um-uns-her sahen wir die-Anderen Freundschaften-schließen/ Freundschaften-brechen, heimliche Verhältnisse Raff=Gier Betrügereien, Heirat&scheidung -:- Uns ging das Nichts an, wir lebten=zusammen. Jemand nannte uns das Eineherz-in-zwei-Leibern. Als wir Das hörten, mußten wir lachen über solchen Kitsch; aber ins=geheim empfanden wir dabei Genugtuung wie über gerecht erhaltenen Lohn. - Nach dem Abitur hatt ich studieren wolln, Philosophie an der Humboldt Universität zu Berlin. Mußte davor zur-Armee, & für mein Studienfach verlangte MAN mehr als nur die 18 Monate Pflicht..... Ließ mich mit der Aussicht aufs Studium pressen auf 3 Jahre Armee. MAN befahl mich zu den Grenztruppen, an die Grenze zu Polen. Tat Dort meinen Dienst & versuchte in Allderzeit, Schmutz-&-Schuld von meinen Händen fern zu halten. Das war nach Neunzehn Einundachtzig auch an dieser Grenze nicht immer 1fach. Und als die 3 Jahre vorbei waren, wars auch mit meinem Wunsch nach dem Studium vorbei. Angesichts dessen, Was inzwischen geschehen war in Diesemland, wäre mir Philosophie-Studieren wie 1 verdorbenes Kindergelüst erschienen, schwärmerisch=herrisch=zankhaftes Geturn am Seitpferd klapperiger Methodik. Filosofie: Nichts als Aus=Flucht vorm Dreck= des-Alltags in Dieserwelt..... Blieb also bei der-Armee, unterschrieb die Verpflichtung auf 12 weitere Jahre Dienst. Absolvierte die Offiziersschule & war Leutnant geworden; nach 7 Jahren im November 89 die-Wende. War Damals 28 Jahre alt u: hatte Keinenberuf der mich & meine Frau über-Wasser hätt halten können (Kinder hatten wir keine). Ich war Soldat, Meinefrau Lehrerin an einer Polytechnischen Oberschule in Frankfurt/Oder. Die Oberschule wurde zum Gymnasium, Meinefrau konnte dort als Lehrerin bleiben, Biologie & Chemie galten als parteilos. Die Grenztruppen der N-V-A wurden zum Bundesgrenzschutz. Hätt ich Damals Filosofie studiert, wäre ich Jetzt arbeitslos. Ob Diktatur od Dämokratie : Subalterne werden !immer gebraucht, Philosophen !nie.- Blieb also Leutnant bei den Grenztruppen; auch die Grenze war dieselbe geblieben: die Grenze zu Polen. So hatte zu unserem=gemeinsamen Glück noch jeder Glück in seinem Beruf. - 2 Bei 1 Routineuntersuchung meiner Frau diagnostizierten die-Ärzte: Krebs. Wäre sie früher gekommen, hätte sie nicht operiert werden müssen. Sagten die-Ärzte & auch, daß Heilung noch möglich sei. Nach Der Operation eine Therapie, sie müsse nur !gleich ins Krankenhaus, so=fort-ins-OPe. Dort entfernten sie den Uterus, es hieß, !Keingrund zur Besorgnis, Metastasen habe man nicht festgestellt. Die Operation hatte sie sehr geschwächt, ihre Gesundheit, sagten die-Ärzte, sei stark angegriffen, sie brauche aber gerade=!jetzt zur vollkommnen Gesundung eine stabile Gesamtverfassung. Man riet ihr zu einer Genesungs-Kur im Gebirge. Danach, wenn sie sich dort erholt habe, wolle Man mit der-Therapie beginnen. Acht Wochen sollte diese Kur dauern. Sie hatte Keinewahl, also willigte sie in Alles ein. -Jetzt, wo ich krank bin und später, in der Therapie, wenn mir die Haare ausfallen werden u mir immerfort übel ist, dann wirst du mich nicht mehr lieben. Das sagte sie zu mir Imernst. Ich aber antwortete ihr, daß ich sie lieben werde wie am Erstentag, u Diesentag lassen wir=uns von keiner Krankheit auch nur um 1 Sekunde kürzen. Und was die Haare angeht, dafür gibts Frisöre, ich lasse mir dann meine Haare abrasieren: Derzeit ist Glatzetragen Mode. - Sie antwortete darauf nichts, aber ich sah ihr Lächeln - ohne Schwernis, heiter u jung. Und später, auf dem Bahnsteig, sagte sie: -Ich habe das Gefühl, ich bin vor Jahren zur ... Leseprobe