Beschreibung
Rainer Roloff führt ein zurückgezogenes Leben. Fragte man ihn nach seiner 'Erwerbsbiografie', so würde er sich als 'Privatgelehrter' bezeichnen. Struktur bekommt sein Leben dank einer Langzeitstudie zum Einfluss des Schlafs auf das Gedächtnis, an der er als Proband teilnimmt. Dafür reist er regelmäßig von Köln nach Düsseldorf, selbst in Zeiten der Pandemie, um im Labor seine an das Aufwachen anschließenden Gedanken zu Protokoll zu geben. Roloff, ein Jahr älter als die Bundesrepublik, ist ein idealer und ergiebiger Proband, mit einem Elefantengedächtnis und Aufmerksamkeit für den Zusammenhang zwischen dem kollektivem Unbewussten und der individuellen Erinnerung. Dr. Meissner, der die Studie leitet, findet überwiegend 'sehr gelungen', was sein Proband ihm in einer Mischung aus zeitgeschichtlicher und persönlicher Erinnerung und spielerisch-absurder Noch-Traum-Logik erzählt. Doch dann gerät das Gedächtnis des Schlafforschers selbst aus dem Gleichgewicht Einmal mehr erweist sich Jochen Schimmang als Meister einer nonchalanten Melancholie, als hintersinniger Chronist der Geschichte, deren teilnehmender Beobachter er ist.
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Autorenportrait
Jochen Schimmang, geboren 1948, studierte Politische Wissenschaften und Philosophie an der FU Berlin und lehrte an Universitäten und in der Erwachsenenbildung. Er ist freier Schriftsteller und Übersetzer und lebt in Oldenburg. 2010 erhielt er für seinen Roman 'Das Beste, was wir hatten' den Rheingau Literatur Preis und 2012 den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar für 'Neue Mitte'. 2017 erschien sein Roman 'Altes Zollhaus, Staatsgrenze West', 2019 die Erzählungen 'Adorno wohnt hier nicht mehr'. 2019 wurde Jochen Schimmang mit dem erstmals verliehenen Walter Kempowski Preis für biografische Literatur des Landes Niedersachsen ausgezeichnet, 2021 erhielt er den Italo-Svevo-Preis für sein Lebenswerk.
Leseprobe
Mein Gedächtnis dagegen, so viel habe ich in den letzten anderthalb Jahren gelernt, ist keineswegs meine Privatsache, so wenig wie die leergefegten Straßen, als ich heute Morgen einkaufen ging. Hinterm Kuchenfenster sind die Gleise vom und zum Hauptbahnhof leerer als sonst, und die Erschutterungen der ein- und ausfahrenden Zuge sind deutlich weniger geworden. Das Haus zittert nicht mehr. Wer weiß, wann der endgultige Stillstand kommt. Meine Träume sagen nur mir etwas, und meistens ist nicht einmal das der Fall. Aber dass ich auf diesem Hocker saß und von Barschels Tod erfuhr, dass ich im Agnesviertel wohnte, einem schönen Altbauviertel im Norden der Kölner Innenstadt, dass ich nicht arbeitete - Warum arbeitete ich damals nicht? Ich erinnere mich, ich hatte gerade mal wieder aufgehört.