Beschreibung
Südafrika, 1976: Das Leben von Katrien Neethling ist behütet und vorhersehbar - bis eine schreckliche Tragödie die Familie erschüttert. In dieser schwierigen Situation findet Katrien in ihrer Familie nicht den Halt, den sie braucht. Als aufmüpfiger Teenager eckt sie überall an und fühlt sich schließlich als Außenseiter. Als sie hört, dass in den Townships die Polizei auf schwarze Schulkinder schießt, wird ihr Urvertrauen in die Welt endgültig erschüttert. Plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Polen, 1980: Der Student Wladek Kowalski will seinem Land zur Unabhängigkeit verhelfen. Er schließt sich der wachsenden Gewerkschaftsbewegung um Lech Walesa an und geht schließlich in den Untergrund. Aber er fliegt auf und muss fliehen. Sein Weg führt ihn nach Südafrika, zu seinem Onkel Jakob und dessen Frau Grietje. Dort begegnet er der Aktivistin Katrien Neethling
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Stefan Jäger
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Autorenportrait
Irma Joubert ist Historikerin und lebt in Südafrika. Sie war 35 Jahre lang Lehre- rin. Nach ihrer Pensionierung fing sie mit dem Schreiben an. Über ihre Heimat hinaus haben sich ihre Romane auch in den Niederlanden, den USA und in Deutschland zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
Leseprobe
1. Kapitel Bosveld 1976 'Und dann war der Englische Krieg und alle Männer sind auf ihren Pferden weggeritten.' Jedes Mal, wenn Katrien Neethling und Agatha Kekana Burenkrieg spielen, fangen sie mit diesem Teil aus Opas Erzählungen an: Ihr Ururgroßvater und seine Söhne verschwinden auf ihren Pferden und lassen die Frauen allein zurück - mit einer ganzen Menge Kinder. Mit wie vielen Kindern genau, weiß Katrien nicht, aber es sind mit Sicherheit mindestens dreißig gewesen. Mit ihrem Taschentuch winkt sie den Männern hinterher. 'Winken, Agatha!' Anschließend seufzt sie tief und geht Brot backen oder pflügen. Ans Schlachten macht sie sich nicht, denn sie kann kein Blut sehen. Katrien Neethling ist zehn Jahre alt und wohnt im Bosveld auf einer Farm, die 'Oorlogslaagte', 'Kriegssenke' heißt. Ihr Vater ist Kobus Neethling, er ist der Vorsitzende der Landwirtschaftsvereinigung und deshalb ziemlich wichtig. Ihre Mutter heißt Salomé - die ist einfach nur Mutter und macht manchmal russische Eier für die Frauenvereinigung oder für eine Hochzeit oder eine Beerdigung. Katrien hat zwei ältere Brüder und zwei Schwestern, die Zwillinge sind. Sie ist die Nachzüglerin in der Familie, der Benjamin. Das ist wunderbar, denn dann wird man durch jeden ein bisschen verwöhnt. Auf der anderen Seite ist man aber immer auf sich allein gestellt. Opa Bernard und Oma Kate, die in dem Haus nebenan wohnen, haben einander, genau wie Papa und Mama, ihre Brüder Bernard und Hannes und ihre Schwestern Salomé und Sorette. Katrien hat Agatha, aber das ist nicht wirklich dasselbe. Agatha ist die Tochter von Martha, die in der Küche arbeitet. Die Küche ist der schönste Ort im ganzen Haus, denn da steht der große Ofen mit der Kaffeekanne und der große Tisch, auf dem ein Teller mit Zwieback und Plätzchen steht. Katrien und Agatha haben schon immer miteinander gespielt, schon von klein auf. Agatha ist eine Kleinigkeit älter und musste früher auf Katrien aufpassen. Sie hat ihr Nord-Sotho beigebracht und später hat sie von Katrien Afrikaans gelernt. Wenn Tante Gretel und Onkel Jakób aus Johannesburg zu Besuch kommen, hat Katrien so immer noch eine Spielkameradin, denn auch deren Kinder sind viel älter als sie. Katrien ist ganz verrückt nach Geschichten, egal ob sie in Büchern stehen oder wirklich passiert sind, so wie die Geschichten von Opa. Aber von der Gegenwart will sie nichts hören, denn diese Zeit ist furchtbar langweilig. Es passiert einfach überhaupt nichts. Sie mag Geschichten über lange zurückliegende Zeiten, vor allem über den Burenkrieg. Wenn sie mit Agatha Burenkrieg spielt, ist Katrien immer die Urgroßmutter Susan, die Grandpa John wieder gesund pflegt, denn das ist die schönste Geschichte, die sie kennt. Ihr Ururgroßvater war seinerzeit auch Farmer auf Oorlogslaagte - aber das ist schon mindestens hundert Jahre her, vielleicht sogar tausend. Seine Frau hieß Katharina Johanna. Das ist die Oma von Oma Kate gewesen und ihre Oma ist nach ihr benannt worden, nur eben auf Englisch: Catharine Jo-Ann. Katrien ist nach derselben Oma benannt worden, diesmal allerdings auf Afrikaans: Katharina Johanna. Sie hätte lieber den englischen Namen ihrer Oma getragen - der ist viel schöner! Ihren eigenen Namen findet sie schrecklich, vor allem das 'Katharina' - das ist wirklich der furchtbarste Name der Welt. Ihr Ururgroßvater und ihre Ururgroßmutter sind noch mit dem Handkarren unterwegs gewesen, der jetzt bei ihrer Oma im Vorgarten steht und in dem sie manchmal mit Agatha spielt. Danach machen sie häufig einen langen Ausflug und gehen irgendwo picknicken oder sie gehen in die Kirche. Doch heute spielen sie Burenkrieg. Agatha muss erst Feuer machen und Brot backen, aber anschließend schlüpft sie sofort in die Rolle der Engländer. 'Ich kann aber gar kein Englisch', beschwert sich Agatha. 'Das macht nichts, ich sage dir einfach, was du sagen musst. Jetzt kämst du auf einem Pferd angeritten. Und du wärst mit einer großen englischen Patrouille unterwegs, du musst also so mit der Hand herumzeigen, damit sie alle mitkommen. Genau wie im Kino.' 'Im Kino bin ich aber noch nie gewesen', entgegnet Agatha. 'Woher soll ich dann wissen, was ich tun muss?' 'Du bist noch nie im Kino gewesen? Warum denn nicht?', will Katrien erstaunt wissen. 'Gefällt es dir da nicht?' 'Woher soll ich das wissen? Ich bin da doch noch nie gewesen.' 'Oh, na ja. Dann mach halt so mit deinem Arm und dabei reitest du weiter', erklärt Katrien und macht es ihr vor. 'Nicht umdrehen, einfach geradeaus schauen.' Denn genau so ist die englische Patrouille bei ihrem Haus angekommen. Die Männer sind bis direkt vor die Haustür geritten. Das Haus steht immer noch da, aber Katriens Vater benutzt es jetzt als Abstellraum. Katrien und Agatha gehen nie dorthin, denn Martha meint, dass es dort spukt, und die Mädchen haben Angst, sie könnten dort einem Gespenst begegnen. Jetzt muss Agatha vom Pferd steigen, dabei hat sie einen Mann in den Armen. Die Engländer, die hier vor langer Zeit vorbeigekommen sind, hatten nämlich einen kranken Soldaten bei sich. 'Wie soll ich denn jetzt einen Mann tragen? Der ist doch viel zu schwer!', beschwert sich Agatha schon wieder. 'Hey, jetzt stell dich mal nicht so dumm an, du bist doch ein starker Engländer!' 'Wenn du mich beschimpfst, spiele ich nicht mehr mit!', entgegnet Agatha wütend. 'Ist ja gut, jetzt bring einfach den Soldaten hierher', versucht Katrien sie zu beruhigen. Agatha kann manchmal ganz schön störrisch sein. 'Was soll ich denn sagen?' 'Make this man better or I shoot you. (Mach, dass es diesem Mann besser geht, oder ich erschieße dich.)' 'Mäik siss män better or ei or ei ' 'Shoot you.' 'Schuut ju', sagt Agatha. 'Bring him here, put him in this bed (Bring ihn her, leg ihn in dieses Bett)', erwidert Katrien. 'Ich kapiere das nicht ', fängt Agatha an. 'Du weißt doch ganz genau, was du tun musst. Lege ihn jetzt da in das Bett.' Der Soldat ist schlimm krank gewesen. Sein schwarzes Haar ist ganz nass vom Schweiß gewesen, sein Gesicht war feuerrot und trotzdem hat er auch ein bisschen gelb ausgesehen mit so einem weißen Ring um den Mund - bah. Er hat Malaria bekommen, als sie im Bosveld am Kämpfen gewesen sind. Zum Glück hat er nirgendwo geblutet, sonst hätte sich Katrien sicher vor ihm gegraust und Oma Susan vermutlich auch. Der kranke Soldat ist der Anführer der Engländer gewesen. Oma Susan und ihre Mutter haben ihn gesund machen müssen, sonst hätten die Engländer sie totgeschossen, erzählt Opa Bernard immer. Wegen des Fiebers hat der Mann die ganze Zeit gezittert und dann ist es ihm auf einmal glühend heiß geworden. Das ist so, wenn man Malaria hat. Katrien hat deshalb eine ganze Menge zu tun. 'Hol schnell die Decken', fordert sie Agatha auf. 'Und bring auch gleich ein Glas Wasser mit.' Sie macht das Essen fertig und füttert ihn damit Löffelchen für Löffelchen. Er heißt John Woodroffe, flüstert er ihr zu. 'Und was soll ich jetzt machen?', fragt Agatha. 'Du gehst Feuer machen und knetest den Brotteig', befiehlt Katrien. 'Aber ich bin doch ein Engländer?' 'Ja, schon, bis eben, aber jetzt bist du das Küchenmädchen.' Eigentlich weiß Katrien nicht so genau, wie sie jetzt weiterspielen muss, denn Oma Susan und Grandpa John haben sich ineinander verliebt. Aber wie soll man das spielen? Davon hat sie keine Ahnung. Aufs Küssen hat sie überhaupt keine Lust. Sie hat Hannes und sein Mädchen einmal dabei beobachtet - echt eklig fand sie das! 'Ich habe keine Lust mehr', jammert Agatha. 'Es ist auch viel zu heiß', erwidert Katrien. 'Komm, wie fragen deine Mutter mal, ob sie Zitronenlimonade für uns hat.' An der Küchentür will Agatha von ihr wissen: 'Was magst du lieber: Süßigkeiten oder ins Kino gehen?' Katrien runzelt die Stirn. 'Das kann ich nicht so einfach sagen. Süßigkeiten sind Süßigkeiten und Kino ist Kino - es ist einfach nicht dasselbe, verstehst du?' Gelegentlich gehen sie an einem Freitag- oder Samstagabend ins Autokino. Im Ort gibt es ein Kino, in dem man auf e...